Gewalt überall – und Schuld haben immer die anderen

■ Wie die DVU auf die Propagandapauke haut / Schwierigkeiten beim Umgang mit den Rechten / „Wir siund die bessere SPD“

...“multikulturellen Gesellschaft“. „Es gibt eine politische Urheberschaft etablierter Parteien und politisch Herrschender für ein erschreckend steigendes Klima der Gewalt in diesem Lande.“ (2070) So bringt die DVU es fertig, in den Debatten über die Anschläge von Mölln und Solingen als Konsequenz bei der Abschaffung des Asylrechtes (2031) und der Bestrafung der „Etablierten“ zu landen. Weidenbach: „Staat und Polizei sind aufgefordert, gegen Gewalttäter und geistige Veranlasser aus den Altparteien mit der ganzen Härte des Gesetzes vorzugehen.“ (1578)

Die letzte Konsequenz: Mölln als Anlaß, die Wiedereinführung der Todesstrafe zu fordern. Die Widersprüche, Unsicherheiten und Brüche unserer Gesellschaft werden denjenigen zugeschrieben, die zu dieser Gesellschaft stehen und meinen, daß Konflikte geregelt und ausgehalten werden müssen. Die DVU verspricht wie schon einmal die radikale Rechte, man könne diese Widersprüche und Unsicherheiten durch Gewalt beseitigen.

„Innere Sicherheit“: Gewalt ist überall und alle Katzen sind grau

Zu erwarten ist, daß die DVU die Debatten über die Gewalt von rechts weiter einreihen wird in die Auseinandersetzung über „Innere Sicherheit“. Und mit der Rhetorik gegen liberalen Strafvollzug, für harte Strafen und mehr Polizeipräsenz befindet sie sich dann in der Gesellschaft beispielsweise der CDU, die nur allergrößte Mühe hat, sich bei dem Thema inhaltlich abzugrenzen, weil sie immer wieder Versuchung erliegt, Gewalt in der Gesellschaft als Regierungsverantwortung darzustellen. Hierher gehört auch das Thema Drogen, bei dem die DVU ganz auf der Linie der CDU liegt, wenn sie das hohe Lied der Kleinfamilie singt, die zerbrochen (worden) sei und ihre Kinder der Sucht überlassen habe. Da klingt Marion Blohm wie die Kabarettversion der CDU-Abgeordneten Motschmann: „Diese bedauernswerten jungen Leute haben sich alles nehmen lassen, was ein Leben überhöhen kann, den Glauben, die Liebe zu Vater und Mutter und die Liebe zu Volk und Vaterland und auch in der Ehe.“ (1483)

Mit der offenen und untergründigen, immer aber verletzenden und aufstachelnden Hetzrede gegen die Asylsuchenden setzt die radikale Rechte bei dem Gefühl von Unsicherheit vieler Menschen an. Die Denkfigur ist so einfach wie gefährlich: Wenn es die Asylsuchenden (und die Ausländer) nicht mehr gibt, können wir wieder sicher sein. Die DVU vertritt wie die Rechte gegenwärtig insgesamt einen Nationalismus, der andere draußen halten will.

Wenn die Täterzu Opfern werden

Am liebsten versucht die DVU, den Vorwurf, sie hätte mit ihrer Propaganda die Gewalttaten provoziert, umzudrehen und sich selbst zum Opfer des Terrors zu machen. Nahezu jede Kritik, gerade wenn und weil sie einhellig von allen anderen Parteien kommt, versucht sie rhetorisch in eine Hetzkampagne gegen sich umzudefinieren. Es gehört offensichtlich zum Kern dieser Partei und ihrer Wirkung auf Wähler, das Gefühl der „Zu-kurz-Gekommenen“ zu verbreiten.

Paradebeispiel dafür war die Debatte um die „Machenschaften des Präsidenten“ (der Bremischen Bürgerschaft). Ihre Redner würden ständig gerügt, Zwischenrufe gegen sie nie, das war der Vorwurf ans Bürgerschaftspräsidium. Und damit reproduzierte die DVU ein Propagandamuster, das sie schon im ersten Jahr in der Bürgerschaft weidlich benutzt hat und das sinngemäß so geht: „Wir hier unten gegen die da oben. Wir reden für die kleinen Leute 'ungeschminkt, klar und unmißverständlich' (1536) gegen die etablierten Politiker da oben, die ständig versuchen, uns deshalb zu 'Abgeordneten zweiter Klasse' zu machen.“ Die Etablierten seien es, die sich von ihren politischen Wurzeln entfernt hätten, die DVU dagegen bewahre das politisch Erbe „der einstigen SPD unter Dr. Kurt Schumacher, der früheren CDU und CSU etwa unter Professor Erhard und Dr. Schäffer, der damaligen FDP unter Dr. Mende.“ (1537) Auch die Studie über die DVU im ersten Jahr wurde von Weidenbach in einer Fernsehdebatte als Verleumdung bezeichnet, im gleichen Atemzug aber in wichtigen Teilen bestätigt, was etwa die Nichtarbeit in den Parlamentsausschüssen betraf.

DVU-Propaganda: Wir sind die bessere SPD

Bei aller, auch immer wieder in Zwischenrufen geäußerten, Empörung der Parlamentarier über das Auftreten der DVU hat die Bürgerschaft jedoch ganz im Gegensatz zu den Behauptungen der DVU ihre parlamentarischen Rechte in keiner Weise beschnitten. Jede Ungleichbehandlung der DVU würde auch herumreitet, insbesondere dann, wenn sie Aussagen von Sozialdemokraten findet, die ihrer Auffassung von Asylpolitik entsprechen. Die DVU ist die bessere SPD, das versucht sie zu suggerieren, sie bewahrt das Erbe Kurt Schumachers. Und sie gibt auch gerne mal einen Tip. Marion Blohm: „Die APO-Opas haben der SPD Ohropax in die Gehörwindungen gesteckt. Deshalb hören weite Teile der Sozialdemokraten nicht mehr, was das Volk, was die Arbeiterschaft sagt und denkt. Befreien Sie sich vom Politgeschwür der sogenannten Neunzehnhundertachtundsechziger!“ (1082) Keine andere Partei wird so von der DVU angesprochen.

Die FDP kümmert sich nur am Rande um die parlamentarische Rechte und steigt nur dann in eine Debatte ein, wenn die DVU den Anlaß zur gesellschaftsliberalen Profilierung bietet. Sie konkurriert nicht um dieselben Wählerschichten, ihr Klientel ist nur mäßig beunruhigt durch das Auftreten der DVU. Es ist den FDP- Abgeordneten nicht immer gelungen, ihr liberales Profil angesichts der Provokation der DVU zu wahren; das zeigte etwa der Zwischenruf von Magnus Buhlert: „Keine Toleranz für Intoleranz!“ (1534)

Die Grünen blieben auch im vergangenen Jahr dabei, die Auseinandersetzung mit der DVU in der Sache zu suchen, so abstrus sie auch meistens war, und sie auch an ihren eigenen Versprechen und Behauptungen zu messen. Das ist und war die Linie, die die DVU bislang in die größten Beweisnöte gebracht hat.

Im zweiten Jahr der Legislaturperiode gab es einen Fall von inhaltlicher Nähe zwischen der DVU und Teilen der Grünen Partei, was bei den Grünen zu erheblichen Irritationen geführt hat, die sich aber weitgehend in internen Zirkeln abspielte. Wie viele Grüne wetterte die DVU gegen den Einsatz von deutschen Soldaten im Ausland (Weidenbach: „Kein neues Blutvergießen deutscher Soldaten für kriegerische und für fremde Interessen!“) und gegen den „US-Kapitalismus, der in den letzten 100 Jahren offenbar immer wieder den Krieg brauchte, um seine Wirtschaft zu beleben“ (2089). Und als am 12. 5. dieses Jahres die Situation in Kurdistan debattiert wurde, da wunderte sich der DVU-Abgeordnete Klaus Blome, „daß sich die Grünen für die Parole 'Kurdistan den Kurden' begeistern können, während sie die Welt zusammenbrechen sehen, wenn die DVU im Einklang mit der deutschen Volksmehrheit meint, daß Deutschland in erster Linie das Land der Deutschen bleiben möge.“ (2177)

Daß es ein führender Staats- und Verfassungsrechtler der Bundesrepublik war, der über Jahrzehnte die DVU in Rechtsfragen beraten hat, hat die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Ein vorurteilsfreier und selbstkritischer Blick in die Reden der DVU zeigt allerdings schon länger, wie fließend die Trennlinien zwischen der DVU und den demokratischen Parteien zuweilen sind bei aller Differenz im Grundsätzlichen.

Die Fesseln der Koalition – freie Hände für die DVU

Ein besonderes Problem ergibt sich für die politische Auseinandersetzung mit der DVU im Parlament durch die Tatsache der Koalitionsregierung. Manche Themen können durch Grüne oder SPD offensichtlich nicht mehr auf die Tagesordnung gesetzt werden, weil es schwer fällt, einen Koalitionskonsens herzustellen. Dadurch kommt die DVU in die Lage, Themen zu „besetzen“, wie etwa die Frage der Blauhelmeinsätze oder die Frage der zunehmenden Armut in Deutschland. Nach den Erfahrungen der ersten zwei Jahre sollte sich die Ampelkoalition die Frage stellen, ob sie gut beraten ist, nur solche Fragen zur Debatte auf die Tagesordnung zu bringen, in denen schon Konsens herrscht. Das Parlament hat eben nicht nur die Funktion der Beratung und Beschlußfassung, sondern auch die Aufgabe der öffentlichen politischen Debatte. Mehr Gestaltungsmöglichkeiten der einzelnen Ampelfraktionen würden die Möglichkeiten der DVU weiter einengen und ihre Selbstdarstellung als Opposition endgültig zerplatzen lassen.

DVU-Wähler: Weitgehend verschont von Berichterstattung über ihre Partei

Ebenfalls wenig geändert hat sich am Umgang der Öffentlichkeit mit der DVU. Recherche und Berichterstattung sind leider nach wie vor Minderheitenprogramm. Die Motive dafür sind ernst zu nehmen und ehrenwert; nach wie vor gibt es die Furcht, die DVU durch Berichterstattung „hoffähig“ zu machen. Über das Für und Wider dieser Position wird unter den Medienleuten immer wieder diskutiert. Ich bin anderer Auffassung. Hans Altermann hatte als Einzelkämpfer im Parlament keine Presse. Doch nach vier Jahren Strategie des Totschweigens ist die DVU in Fraktionsstärke in die Bürgerschaft eingezogen.

Katzentischstrategie mit anderen Mitteln

Die großen Bremer Medien haben bestenfalls zum Thema gemacht, was denn seit der Wahl in den Stadtteilen mit hohem DVU- Stimmenanteil passiert ist – herzlich wenig, insbesondere gemessen an den vollmundigen Erklärungen nach dem Schock der Wahlnacht. Recherchen und Berichterstattung über die DVU selbst werden nur geleistet, wenn es sich absolut nicht vermeiden läßt, wie beim Wahlprüfungsverfahren gegen Marion Blohm.

Der Umgang der Medien mit der DVU ist die Katzentisch-Politik mit anderen Mitteln. Es scheint sich nichts geändert zu haben seit den Zeiten, als sich Hans Altermann in die Buten&Binnen-Wahldiskussion hineingeklagt hatte, um dann am Nebentisch plaziert zu werden. Im Gegenteil: Die hysterische Absage der Parteiendiskussion im Vorfeld der Hamburg-Wahl, weil sich die DVU in die Sendung eingeklagt hatte, läßt Schlimmeres vermuten. Die Grünen loben in Hamburg die Fünf-Prozent- Hürde, die vor ein paar Jahren noch ein undemokratisches Relikt war; und schon jetzt wird gegrübelt, wie „die Rechten“ im Superwahljahr 1994 vom Bildschirm fernzuhalten seien. Wenn die Frage so behandelt wird und nicht als Rückzug aller Parteien aus ihren Privilegien, dann wird dies eine prächtige Vorlage für die DVU, ihre Suaden gegen das Kartell der Etablierten an den Wähler zu bringen.

Im Zeitalter des großen Unbehagens gegenüber dem politischen System gilt der Satz: No news is good news. Politik muß sich rechtfertigen und steht unter der kritischen Beobachtung der versammelten Journalistenschar. Es scheint, als käme dabei keine Partei so gut weg wie die DVU. Weil die Medienleute sowieso nichts von ihr erwarten, kann sie fast ungestört von kritischer Berichterstattung tun und lassen, was sie will. Ihre Wähler werden davon weitgehend verschont. Dazu kommt natürlich die Presse, die ohnehin mit Gedanken der DVU sympathisiert.

Wie hätten die Bremer Medien reagiert, wenn eine andere Fraktion mit Sicherheitszuschlägen so unbekümmert in die Staatskasse gegriffen hätte? Und wie hätten die Medien reagiert, wenn beispielsweise Herr Scharping dem einen Teil der SPD- Fraktion Geld angeboten hätte, damit der gegen den anderen Teil abstimmt? Genau das ist in der DVU passiert. Parlamentsdebatten haben ein bescheidenes Echo in der Bevölkerung. In der Auseinandersetzung mit der radikalen Rechten haben die Medien die Schlüsselrolle.