Wir lieben ihn, den stolzen Delphin

Auf dem Delphinforschungsschiff: Delphine studieren, um von ihnen zu lernen  ■ Von Christa L. Dregger

Es ist 9 Uhr vormittags und bereits 38 Grad Celsius, als ich die „Kairos“ im türkischen Mittelmeerhafen Bodrum betrete. Zum ersten Mal spüre ich diesen schwankenden, nie ganz sicheren Daseinszustand. Schlank ist die „Kairos“, aber sie hat einen breiten ausladenden Bug, und sie ist aus Pinienholz. So wie die Schiffsbauer vom Schwarzen Meer ihre berühmten Holzschiffe bauen.

In diesem Herbst startet auf dem Atlantik ein ungewöhnliches Forschungsprojekt. Das Segelschiff „Kairos“ ist Schauplatz eines Kommunikationsexperiments zwischen Menschen und Delphinen; gleichzeitig ist es ein schwimmendes Musik- und Filmstudio. Vor dem offiziellen Start im Oktober gibt es die Gelegenheit, die Kairos und ihre Crew auf der Jungfernfahrt von der Türkei nach Malta zu begleiten.

Mit ihren 25 Metern Länge ist die „Kairos“ das größte Schiff in der Werft. Unter dem Klüverbaum hängt ein Netz; und das ist nicht nur als Sicherung für fallende Segelanfänger gedacht, sondern als bequemer Sitz, um von dort aus Delphine zu beobachten und zu filmen. Mit acht Personen fahren wir los, der Kurs geht über Kreta, Malta, die Meerenge von Gibraltar auf den Atlantik zu den Kanarischen Inseln.

Unter Deck gibt es einen geräumigen Salon mit Speiseraum und zweitem Steuerstand, Wohnraum für zwanzig Personen, den Motorraum und ein Musik- und Filmstudio, das professionell genug eingerichtet ist, um Schallplatten und Videos zu produzieren. Acht Taucherausrüstungen, ein schnelles Motorbeiboot, Musikinstrumente für über und unter Wasser vervollständigen das Equipement.

Die Idee des Projekts „Kairos“ ist einfach: Menschen können von Delphinen eine Menge lernen, wenn sie miteinander in eine partnerschaftliche Kommunikation kommen. Dafür gehen die Forscher nicht mehr zu den in Delphinarien eingesperrten Tieren, sondern begeben sich in deren natürliche Umgebung aufs Meer.

Batisse Silvester, Musiker, Psychologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter der „Kairos“: „Delphinforschung ist Kommunikationsforschung; unsere These ist, daß eine partnerschaftliche Kommunikation zwischen Menschen und Delphinen möglich ist. Und daß wir dadurch viel über eine gewaltfreie, soziale und umweltverträgliche Lebensweise lernen können, wie sie die Delphine haben und wie sie dem Menschen fehlt.“

Das ungewöhnliche am Experiment „Kairos“ ist: Es verbindet die Kommunikationsforschung unter Menschen mit Delphinforschung. Sie nennen das Human-Dolphin- Research: Mensch-Delphin-Forschung. Martina Gisler, Projektleiterin der „Kairos“: „Um mit einer anderen Spezies zu kommunizieren, müssen wir Menschen uns erst einmal unter uns verständigen lernen.“ Daß es dieses Schiff überhaupt gibt, kommt der Crew immer noch wie ein Wunder vor. Zuerst waren da Träume. Eine Abenteurerin träumte von Freiheit. Ein Seebär träumte vom eigenen Schiff, das einen interessanteren Sinn hat als den Luxus. Ein Musiker träumte von der Möglichkeit, neue Impulse für die Musik zu finden. Gemeinsam war ihnen das Interesse an Delphinen und Delphinforschung. So entstand die Idee, ein Schiff für die Begegnung und die Kommunikation mit Delphinen zu bauen.

Als diese Idee einmal formuliert war, kam von allen Seiten Unterstützung; über fünfzig Personen wurden durch Werbeveranstaltungen gefunden, die sich an der halben Million Mark Baupreis beteiligten; eine Reihe von Delphin- Forschern berieten die Crew bei der Planung; verschiedene Firmen stifteten Equipement für die technische Ausrüstung. Schließlich gab es da noch den türkischen Freund aus dem Bekanntenkreis, dessen Vetter einen Schwager hat, dessen Neffe eine Werft besitzt, die die berühmten Holzschiffe nach Schwarzmeer-Tradition baut... Aus der Idee wurde das Schiff.

Das Meer ist spiegelglatt und leuchtend blau, durchscheinend und glitzernd. Diese besondere Klarheit des Mittelmeers kommt durch seinen geringen Gehalt an Plankton; ohne diese Nahrungsgrundlage gibt es mengenmäßig zwar relativ wenig Fische, aber in Folge der Nahrungskonkurrenz eine einmalige Vielfalt. So leben in diesem kleinsten Weltmeer immer noch, trotz Verschmutzung und Überfischung, eine ganze Reihe unterschiedlicher Delphin- und Walarten.

„Delphine an Backbord!“ Es war der Käpt'n, der sie zuerst gesehen hat. Innerhalb von drei Sekunden hängt die ganze Schiffsbesatzung an der Reling an Bug und blickt hinunter. Die ca. 15 Meter großen Tümmler turnen in der Bugwelle. Immer wieder hebt einer der auftauchenden Delphine seinen Kopf schräg aus dem Wasser, scheint uns hier oben anzublinzeln, macht einen Sprung und taucht wieder ab. Parallele Sprünge von zweien oder dreien, Reiten auf der Bugwelle, blitzschnelle Wendungen. Die erste Begegnung der zukünftigen Forschungspartner, sozusagen eine Begrüßung im Vorbeischwimmen.

Kommunikationsversuche mit Delphinen haben Tradition. Spätestens seit den sechziger Jahren, als John C. Lilly Tümmlern in Delphinarien englische Vokabeln beibrachte und deren Sprache in die Frequenzen unseres Hörbereichs transponierte, weiß man, daß Delphine unter sich eine hochkomplexe Sprache benutzen. Sie könne in wenigen Augenblicken eine viel größere Menge an Informationen vermitteln als der Mensch.

„Delphine kommunizieren mit dem ganzen Körper“, sagt Batisse Silvester. „Durch ihr Echolotsystem können sie jede innere Bewegung ihres Gegenübers durchschauen; so etwas wie Lügen oder Sich-Verstellen ist bei ihnen also nicht möglich. Ich halte Musik für das geeignete Medium, um sich mit Delphinen zu verständigen.“

„Wir wollen die Lebensweise frei lebender Delphine für Menschen erfahrbar machen“, sagt Batisse Silvester, „die Sensibilität und die Kommunikationsfähigkeit, die an das grenzen, was wir als Telepathie bezeichnen könnten.“

Auf dem Meer, mit nichts umgeben als Wasser und Himmel, ohne die Gewohnheit des festen Bodens unter den Füßen, gibt es reichlich Gelegenheit für irrationale Ängste.

Die Situation unter acht Menschen, die mehrere Tage auf so engem Raum zusammen sind, kann ebenso irrational sein: Ein Schiff kann ein Gefängnis sein, eine winzige Nußschale, auf der man mit unliebsamen Gestalten eingesperrt ist und nie wegkann – oder es kann die Freiheit bedeuten, die Weite des Meeres, des Himmels und die Elemente zu entdecken. Zwei extreme Möglichkeiten der Wahrnehmung, zwischen denen ich so hin- und herschaukele wie die „Kairos“ in den Wellen.

Das Gefühl von Freiheit spürt man auf die Dauer nur, wenn man in die Lage kommt, die anderen Menschen an Bord als Vertraute kennenzulernen. Gruppendynamik an Bord, Grenzerfahrungen, zum Beispiel durch Sport und das unmittelbare Erleben der Elemente, gehören zum Forschungsprogramm der „Kairos“. Martina Gisler und die anderen der Crew sorgen dafür, daß wir uns darüber austauschen, was uns beschäftigt, einschränkt, interessiert, stört und bewegt. „Unsere Idee ist, daß an Bord unter den Menschen etwas Ähnliches passiert wie unter den Delphinen, ein gemeinschaftliches Zusammenleben, eine effektive Verständigung.“

Wie erreichen Malta. Hier sind Delphine selten geworden. Die „Kairos“ will sich auch an Aktionen beteiligen, die auf die Bedrohung von Delphinen aufmerksam machen. „Wir wenden uns auch gegen Treibnetzfischerei, gegen die Umweltverschmutzung der Meere und gegen die Haltung von Delphinen in Delphinarien“, sagt Kapitän Jürgen Hoheisel, der hier nur Crack genannt wird.

Bis zum Frühjahr bleibt die „Kairos“ bei den Kanarischen Inseln, später wird sie Kurs auf die Kapverden und die Azoren aufnehmen, wo es hervorragende Bedingungen für den Kontakt mit Delphinen geben soll. Es wird dabei immer wieder die Möglichkeit geben, mitzufahren und an dem Programm der „Kairos“ teilzunehmen. Spezielle Wochen mit bekannten Pop-, Rock- und Klassik- Musikern, aber auch Tauch-, Sport-, Segelkurse und Kreuzfahrten sind vorgesehen. Ein Segelschein wird nicht verlangt, nur Neugier und die Bereitschaft, bei allen anfallenden Arbeiten an Bord mitzumachen.