■ VW-Vorstoß signalisiert ein Umdenken: Der erste konstruktive Vorschlag
In der deutschen Debatte über Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsstrukturkrise ist der Vorstoß des VW- Vorstandes zur Einführung der Viertagewoche der erste konstruktive Vorschlag. Bislang haben deutsche Unternehmer zunehmend auf das amerikanische Modell des hire and fire gesetzt, nachdem es in Konjunktur-Talsohlen qua Naturgesetz Massenentlassungen gibt. Durch den langen Boom der 80er wurden die Vorstände verleitet, den Gedanken an Rezession zu verdrängen. Gerade in den Chefetagen der Autoindustrie freute man sich an den fast von selbst wachsenden Umsatzzahlen, kaufte oder baute neue Produktionsstätten und verschlief darüber all jene Entwicklungen, die heute die deutsche Strukturkrise ausmachen: Die Konkurrenz, besonders die japanische, verbesserte ihre Produkte, arbeitet heute kostengünstiger, ist innovativer und verfügt demnächst auch über das qualifiziertere Personal.
Daß jetzt ein Konzernvorstand den Willen bekundet, die Gesamtbelegschaft durch Absatz- und Strukturkrise mitzunehmen, signalisiert zumindest ein Umdenken – und zeugt von Weitsicht. In der nächsten Boomphase will das Unternehmen nicht mehr beständig über Facharbeitermangel klagen müssen. Denn anders als früher bilden die Menschen, die heute entlassen werden, nicht mehr die Reservearmee für den nächsten Aufschwung, sondern das Heer der aus dem Arbeitsprozeß herausgefallenen Dequalifizierten.
Neben der Höhe des Lohnverzichts für die VW- Beschäftigten bemängeln die Kritiker, daß diese Form der Arbeitszeitverkürzung nicht in ausreichender Zahl Arbeitsplätze schaffen kann. Dahinter steckt der Generalverdacht, daß die Viertagewoche ohne Lohnausgleich von einem Großteil der Industrie übernommen wird und damit durch die Hintertür (west)deutsche Löhne dem osteuropäischen Niveau angeglichen werden sollen. Das letzte Argument überzeugt dabei schon deshalb nicht, weil sich am Stundenlohn auf diese Weise nichts ändert.
Mit diesem Generalverdacht wird der Vorschlag, der ja nicht als Patentrezept zur Lösung der deutschen Arbeitsmarktkrise daherkommt, überschätzt. Schließlich haben ihn nicht einmal die anderen Autoproduzenten bislang begeistert aufgenommen. Gleichzeitig werden die Probleme von VW und den anderen Autoherstellern unterschätzt. Das Unternehmen behauptet es nicht nur, es befindet sich in einer Kostenkrise: weil es weniger Autos loswird und weil japanische Hersteller das gleiche Produkt billiger herstellen. Um Rationalisierungen kommt VW deshalb nicht herum. Die Vorstellung, über heftige Kritik an den Details des VW-Vorschlags den Status quo erhalten zu können, ist daher pure Illusion. Donata Riedel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen