■ Anwalt Ströbele zur Vermittlung zwischen RAF und Staat
: Unkonventionelle Wege versucht

taz: Herr Ströbele, was war der Ausgangspunkt für Ihre Vermittlungstätigkeit zwischen Staat und RAF? Wer hat Sie „losgeschickt“?

Hans-Christian Ströbele: Am Anfang stand ein Gespräch mit dem Gefangenen Karl-Heinz Dellwo in Celle. Da lag die Deeskalationserklärung der RAF vom April 1992 ein Jahr zurück, Weiterstadt war passiert, es gab eine weitere Erklärung der RAF. Gleichzeitig entstand der Eindruck, von staatlicher Seite passiert überhaupt nichts und es droht wieder das, was wir immer wieder erlebt haben: eine neue Eskalation der Gewalt. Das war für mich ein zusätzliches Motiv, aktiv zu werden. Es hat vorher in der gesamten Geschichte der RAF nie eine Erklärung gegeben in dem Sinne „...nehmen wir die Eskalation zurück“. Das war eine einmalige Gelegenheit. Nach Weiterstadt dachte ich, man muß auf ganz unkonventionellem Weg versuchen, etwas anzustoßen, das die Dinge in Bewegung bringt.

Wer kam auf die Idee, prominente wie Edzard Reuter oder Ignatz Bubis für diese Initiative in Anspruch zu nehmen: Sie, die Celler Gefangenen oder die Untergrundgruppe der RAF?

Von den Cellern kam die Überlegung, an Leute der Wirtschaft heranzutreten, von denen man annehmen konnte, daß sie ein besonderes Interesse daran haben, eine neue Eskalation zu verhindern. Die sollten dazu bewegt werden, bei der Politik in diesem Sinne vorstellig zu werden. Einer der angesprochenen Gesprächspartner steht jetzt in der Zeitung.

Zwei, Edzard Reuter und Ignatz Bubis.

Nein. Ignatz Bubis wurde erst später angesprochen, zu einem Zeitpunkt, als klar war, daß die erste Idee nicht gegriffen hatte. Daß also entweder der Einfluß der Industrie nicht groß genug war oder die Überzeugungskraft nicht ausreichte oder die politisch Verantwortlichen einfach nicht wollten. Da kam der Gedanke, was kann man zusätzlich machen, welche integre Persönlichkeit von hohem Ansehen kommt in Betracht.

Das heißt, es gab vorher neben Edzard Reuter weitere Ansprechpartner?

Einzelne möchte ich nicht nennen. Ich kann aber sagen, es waren nicht nur die beiden jetzt bekannten Personen, sondern sehr viel mehr. Das Spektrum reichte von Grünen bis hin zu Leuten, die man bei der CDU ansiedeln kann.

Auf welche Weise hat es zu diesem Verfahren eine Zustimmung der RAF-Illegalen gegeben?

Da muß ich voranschicken, daß ich seit mehr als zwanzig Jahren daran gewöhnt bin, Äußerungen der RAF ernst zu nehmen. Wenn die was schreiben, ist jedes Wort überlegt und so gemeint, wie es dasteht. Deshalb war mir allein aus den Erklärungen des letzten Jahres und dem Vorgang Weiterstadt klar, daß die draußen ein Interesse an Bewegung hatten. Die konnte es nur durch Gespräche geben. Sehr viel später habe ich dann die Bestätigung erhalten, daß diese Überlegung dem Diskussionsstand der RAF tatsächlich entsprach.

Das war, als jemand „verfügbar“ war, nämlich Birgit Hogefeld im Knast?

Dazu möchte ich mich nicht äußern. Tatsächlich, das ist mir wichtig richtigzustellen, haben keine Verhandlungen stattgefunden. Es gab weder ein fertiges Konzept noch ein im vorhinein festgelegtes Ergebnis – schon gar keins auf Kosten einzelner Gefangener. Es gab nur Gespräche, um schließlich zu Verhandlungen zu kommen. Es war auch völlig offen, wer die Verhandlungen führen sollte. Meinen Gesprächspartnern habe ich gesagt, das wichtigste sind Signale, damit es nicht zu einer Eskalation kommt. Als Signale habe ich Haftentlassungen der Langzeitgefangenen angesehen, also von Irmgard Möller, von den Celler Gefangenen, oder den Vollzug der Entlassung von Bernd Rößner. Dazu die Zusammenlegung der anderen Gefangenen, damit die sich endlich auseinandersetzen und möglicherweise eine gemeinsame Position entwickeln können zu diesen vielleicht dann möglichen Verhandlungen. Die Signale sollten von staatlicher Seite dokumentieren: Anders als bei der Kinkel-Initiative ist jetzt wirklich vorgesehen, Nägel mit Köpfen zu machen.

Wodurch hat sich der von Ihnen unterstützte Vorschlag von der Kinkel-Initiative unterschieden?

Die Kinkel-Initiative war ein Versuch, mit dem die Gefangenen über weite Strecken nichts zu tun haben wollten. Hier ist dagegen versucht worden, auf Initiative der Gefangenen in Celle und in vermuteter Übereinstimmung mit den RAF-Mitgliedern draußen etwas in Gang zu setzen.

Welche Rolle hat der von Brigitte Mohnhaupt erwähnte Verfassungsschützer „Benz“ gespielt?

Überhaupt keine. Der Verfassungsschutz versucht immer, eine Rolle zu spielen. Ich kenne Herrn Benz, aber ich hätte ihn nie einbezogen oder unterrichtet. Es kann natürlich sein, daß sich einer meiner Gesprächspartner von sich aus an den Verfassungsschutz gewandt hat, um sich zu vergewissern, daß er nicht hereingelegt wird.

War Ihnen bewußt, daß ein Teil der Gefangenen nicht mitziehen würde?

Nein. Das war mir nicht klar.

Warum sind die anderen Gefangen so spät eingeweiht worden?

Rückblickend war das ein Fehler. Möglicherweise wäre die Diskussion anders verlaufen. Wir wollten den Kreis, der davon wußte, klein halten, um zu verhindern, daß schon nach den ersten Gesprächen Berichte darüber in den Zeitungen stehen. Die späte Unterrichtung der anderen Gefangen hängt auch damit zusammen, daß sie über die ganze Bundesrepublik verstreut in den Haftanstalten sitzen.

Wann haben Sie schließlich mit Irmgard Möller und Brigitte Mohnhaupt gesprochen?

In den letzten vier Wochen. Von der Veröffentlichung des Briefs von Brigitte Mohnhaupt bin ich bei Gericht im Sitzungssaal kalt erwischt worden.

Ist die Initiative aus ihrer Sicht damit gestorben?

Das war sie schon vorher. Es hatte sich längst abgezeichnet, daß die Chancen für ein positives Ergebnis praktisch bei Null liegen.

Ist Ihre Initiative an der Politik gescheitert?

Das ist ganz eindeutig. Die Gespräche mit Herrn Reuter waren schon vor Bad Kleinen beendet. Die mit Ignatz Bubis liefen anfangs parallel, dann nur noch mit ihm.

Brigitte Mohnhaupt schreibt, der Bundeskanzler selbst habe Ignatz Bubis von einem Besuch bei den Celler Gefangenen abgeraten?

Mir ist bekannt, daß der Bundeskanzler einen Besuch von Bubis in Celle nicht gewünscht hat – jedenfalls zu der Zeit nicht.

Hat das Scheitern der Initiative damit zu tun, daß die Verantwortlichen in der Politik im Wissen um den V-Mann Klaus Steinmetz ausschließlich auf Fahndung eingestellt waren?

Auf höchster Ebene kalkulierte man offensichtlich mit dem V- Mann. Ich war zunächst empört, wie wenig Resonanz es in Bonn auf die Initiative gab. Nach Bad Kleinen sieht man natürlich klarer. Aber es gab auch danach faktisch keine Bewegung. Die Personen in der Politik, die tatsächich etwas verändern könnten, denken noch immer wie vor zwanzig Jahren. Sie setzen wieder allein auf Fahndung, Festnahmen oder Schlimmeres, wie Bad Kleinen. Interview: W. Gast/G. Rosenkranz