Mafia will Staatsbetriebe

Italiens Industrieminister schlägt Alarm / Disput über große oder kleine Streubreite bei der Privatisierung staatlicher Liegenschaften und Firmen  ■ Aus Rom Werner Raith

Italien hat ein neues Schlagwort: „Pericolo Tre-U-And“. Die italienisch prononcierte Aussprache von „Treuhand“ ist seit einigen Wochen der Negativbegriff der Wirtschaftswissenschaftler und Politiker. Und das Wort kommt in unappetitlichen Zusammenhängen vor. Von der Mafia und Camorra ist die Rede sowie von „internationaler Großkriminalität und illegaler Spekulation“, wie sich ein Beamter des italienischen Finanzministeriums ausdrückte. Treuhand, von deren Existenz Italien vorher kaum Notiz genommen hat, steht als Symbol für jenes Gespenst, das Industrieminister Paolo Savona in der vergangenen Woche an die Wand gemalt hat: die in Italien in Gang gesetzte Privatisierung von Staatsbesitz. Neben seriösen Käufern locken die zahlreichen Immobilien und ein ansehnlicher Teil der Gesamtindustrie – zeitweise waren mehr als 35 Prozent aller Anlagen im Besitz der öffentlichen Hand – auch weniger redliche Käufer an. Schon haben Beamte der Finanzpolizei eine Reihe von Agenten und Anwälten ausgemacht, von denen bisher niemand etwas gehört hatte und die doch mit beträchtlichen Geldsummen hantieren. Die Überprüfung einiger von ihnen ergab dann bald eine enge Verbandelung mit allerlei Dunkelmännerzirkeln.

Daß gerade „Treuhand“ zum Symbol der Infiltrationsmöglichkeiten von Mafia und Camorra wurde, hängt mit relativ unpräzisen, in Italien aber sofort in eine einzige Richtung interpretierten Informationen über die deutsche Behörde zusammen. „Wer beim Veräußern von Staatsbesitz nur darauf sieht, wer Geld hat und möglichst schnell bezahlt, guckt nicht auf die Herkunft der Gelder“, so das Wirtschaftsmagazin Il sole 24 ore.

Daß Drogenbarone und Waffenschieber beim Einkauf von Immobilien und Betrieben nicht einmal die mögliche Rendite erfragen, wundert nur in legalen Kategorien denkende Menschen. „Die Schwarzgeldanleger sind nicht an der möglichen Produktion oder am Wertzuwachs interessiert – sie wollen ihre illegalen Gelder in den legalen Kreislauf einpumpen. Und wenn sie die Liegenschaften dann wieder mit Verlust verkaufen, juckt sie das gar nicht“, so Luciano Violante von der Anti-Mafia- Kommission. „Was die dann beim Verkauf bekommen, ist noch immer viel mehr, als wenn sie den ursprünglichen Betrag umständlich über Off-shore-Banken in Liechtenstein, auf den Bahamas oder in Hongkong waschen würden.“

Industrieminister Savona sucht derlei Infiltration durch eine Vorgabe zu unterlaufen. Er möchte die Staatsbetriebe und -güter ausschließlich an allseits bekannte, alteingesessene Konzerne oder Privatleute verkaufen. Die Streubreite der Investoren soll möglichst klein bleiben, damit der Überblick nicht verlorengeht. Dieser Vorschlag hätte ihn vor zwei Wochen beinahe sein Amt gekostet. Der Präsident der größten Staatsholding, IRI, Romano Prodi, ein enger Freund des von der Notenbank kommenden Ministerpräsidenten Carlo Azeglio Ciampi, möchte die öffentlichen Liegenschaften nämlich möglichst an Kleinanleger verhökern. So will er die Bildung neuer Trusts beziehungsweise das weitere Anwachsen der sowieso schon überaus einflußreichen Privatkonzerne vermeiden. Dahinter steht freilich auch ein ideologischer Konflikt: Savona steht der Großindustrie nahe, Prodi den mit den Christdemokraten verbündeten Mittelständlern. Salomonisch hatte Ciampi nach dem Krach im Wirtschaftshaus verfügt, daß „jeder Verkaufsfall eigens gewertet und entschieden wird“.

Doch Savona läßt nicht locker. In immer neuen Dossiers bombardiert er die Öffentlichkeit mit bereits festgestellten Fällen des Einsickerns illegaler Gelder. Tag für Tag malt er immer düsterere Szenarien für die Zukunft der Demokratie aus, wenn der Staat seinen ehemaligen Besitz trotz des Verkaufs nicht einigermaßen unter Kontrolle hält.

Doch Mitte der Woche bekam er dabei ein unerwartetes Problem. Italiens Großindustrielle, auf deren Kaufinteresse er gehofft und deren ideologischen Beistand er erhofft hatte, erteilten ihm eine Absage. Der Fiat-Konzern ließ mitteilen, daß er im Inland nicht weiter kaufen und statt dessen im Ausland, etwa in Frankreich, akquirieren werde. Von Olivetti verlautbarte Analoges. Die derzeitige Mafia-oder-nicht-Mafia-Diskussion hält Olivetti-Chef De Benedetti für schädlich: „Sie dient allenfalls dazu, die Privatisierungen weiter zu verschleppen.“

Savona aber läßt nicht locker. „Wir werden doch in Italien außer Fiat und Olivetti noch andere honorige Großkäufer finden“, macht er sich Mut; doch mehr kann er im Moment auch nicht sagen. Ein kleiner Lichtstreif am Horizont allerdings hat sich für ihn doch noch aufgetan: Die Kaufmuffel aus der Großindustrie wollen immerhin ihre „eigenen Erkenntnisse über die Honorigkeit möglicher Käufer, auch wenn diese relativ groß an der Zahl sein sollten, zur Verfügung stellen“, so ein Sprecher des Industriellenverbandes. Will heißen: Auch wenn wir selbst nicht kaufen, wollen wir für alle Fälle wissen, wer es an unserer Stelle tut. Um im Notfall, und darauf hofft Savone, den Tre-U-And-Effekt doch noch zu vermeiden.