Gegenüber der Polizei gelogen?

■ Belastungszeuge im „Mykonos“-Prozeß widerrief Aussage

Berlin (taz) – Wenn der Angeklagte Abbas Rhayel den Saal 700 des Kriminalgerichts Moabit verlassen muß, um auf Toilette zu gehen, umringen ihn drei Justizwächter, und neun Polizisten bilden Spalier. Die hautenge Bewachung hinderte ihn jedoch nicht daran, vor der gestrigen Verhandlung des „Mykonos“-Prozesses seinem Mitangeklagten Youssef Amin, dem Hauptbelastungszeugen in dem Verfahren wegen Mordes an vier iranischen Oppositionellen in einem Berliner Lokal, einige arabische Worte ins Ohr zu raunen. Ob solche Worte dazu angetan sind, Amin unter Druck zu setzen, oder ob dieser aus freien Stücken handelte, als er gestern seine beiden Verteidiger ablehnte, war gestern Hauptstreitpunkt im Prozeß.

Für das Gericht kam der Antrag Amins, seine Pflichtverteidiger Lothar Bungartz und Thomas Baumeyer zu entbinden, überraschend, selbst die beiden Anwälte konnten sich zunächst keinen Reim darauf machen. Aus seinen spärlichen Ausführungen war zu entnehmen, daß Amin sich nicht mehr richtig vertreten fühlt, seit sein Anwalt Bungartz ihn in der Untersuchungshaft vor einem Gespräch mit der Bundesanwaltschaft darauf einschwor, man „müsse Taktik machen“. Diese Kooperationsbereitschaft gegenüber den Strafverfolgern dokumentiert auch ein Schriftwechsel, den Amin und sein Verteidiger mit dem Gericht im Juli führten. Darin beschwert sich der Angeklagte darüber, daß die Polizei bei seinen Aussagen „die gleiche Art und Weise benutzt wie in den arabischen Ländern“. Man habe gedroht, daß seine Familie Repressalien erleide, sollte er nicht zu einem Geständnis bereit sein. Amin plauderte, seine Ausführungen sind die wesentliche Stütze der Anklage, die zum ersten Mal versucht, mit dem Angeklagten Kazem Darabi einen Beauftragten des iranischen Geheimdienstes vor ein deutsches Gericht zu bringen. In dem Brief, der nach Fertigstellung der Anklageschrift verfaßt wurde, erklärt Amin: „Was ich der Polizei gesagt habe, war gelogen und entspricht in keiner Weise der Wahrheit. Ich werde erst in der Hauptverhandlung eine umfassende Aussage machen.“ Daß Bungartz in einem Begleitschreiben sein Bemühen zum Ausdruck brachte, Amin „auf Linie zurückzuführen“, war für Darabis Anwalt Detlef Kolloge Anlaß, Verständnis für Amins Begehren nach Verteidigerwechsel zu äußern. Dem Anwalt der Nebenklage, Hans-Joachim Ehrig, drängte sich hingegen der Verdacht auf, der von Amin gewünschte neue Anwalt solle eher ein Anwalt des Vertrauens der Mitangeklagten sein.

Das Gericht lehnte schließlich den Antrag auf Verteidigerwechsel ab. Dieter Rulff