Mr. Saubermann und Mr. Nice Guy

■ Die Hautfarbe spielt in der Endphase des New Yorker Wahlkampfes die Hauptrolle

Im Büro des einen hängen Portraits von Nelson Mandela und Tennis-Jungstar Jennifer Capriati. Im Büro des anderen blicken Abraham Lincoln und Baseball- Altstar Babe Ruth herab. Der eine wirkt mit seinen tadellos gebügelten Anzügen und seiner Vorliebe für teure Herrenmode wie ein Mitglied jener zeitlos elitären Country-Clubs. Der andere erinnert mit seinen braun karierten Jacketts und seinem altmodischen Haarschnitt an den All American Dad aus der Autowerbung der fünfziger Jahre. Vorausgesetzt, er verliert nicht gerade wieder die Beherrschung und heizt die Stimmung unter seinen Anhängern in Biertischmanier an. Rudolph Giuliani, 46 Jahre alt und einer der populärsten Staatsanwälte in New York, neigt zu Zornesausbrüchen wie zum Beispiel im September letzten Jahres, als er auf einer Kundgebung eine mit Obszönitäten gespickte Rede gegen die angeblich polizeifeindliche Haltung von David Dinkins hielt. Die johlten und hielten Schilder hoch, auf denen Dinkins als schwarzer Klojunge bezeichnet wurde. Solche Ausfälle verfolgen „Rudy“, wie man ihn in New York nennt, bis heute, und sie haben dem Amtsinhaber David Dinkins genügend Angriffspunkte gegeben, um in den letzten Wochen den Rückstand in den Meinungsumfragen aufzuholen. Giuliani, sagt Dinkins, der 66jährige Berufspolitiker aus dem Parteiapparat der New Yorker Demokraten, habe einfach „nicht das richtige Temperament“ für das Amt des Bürgermeisters.

Doch Rudy Giuliani gibt sich alle Mühe, sein Image mit den Bedürfnissen einer Stadt kompatibel zu machen, die sich weniger um ethnische Gegensätze als um Gewalt und Arbeitslosigkeit kümmert: New York müsse vom Symbolismus ethnischer Differenzen abrücken. Unabhängig von Hautfarbe und Einkommen will Giuliani all jenen ein guter Bürgermeister sein, die „hart arbeiten und sich an die Spielregeln halten“. Giulianis Popularität basiert auch auf seiner Karriere als Staatsanwalt in New York, in deren Verlauf er unter anderen Imelda Marcos, ein paar amerikanische Mafiosi und einige Börsenmakler von der Wall Street auf die Anklagebank brachte. Der klassische Saubermann, der im Sumpf der Großstadt aufräumen will.

Allerdings gibt es auch einige in New York, deren politisches Gedächtnis weiter zurückreicht – zum Beispiel die wachsende Gemeinde exilierter Anhänger des haitianischen Präsidenten Aristide. Die „Lavalas“, wie sie genannt werden, vezeihen Giuliani nie, daß er als Beamter im Justizministerium der Reagan-Administration die Asylpolitik mitformulierte, die zur Internierung und Abschiebung Tausender haitianischer Boat people führte.

Im Gegensatz dazu hat David Dinkins immer mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln für die Aufnahme der Asylsuchenden gekämpft, was ihm die Lavalas und andere Schwarze mit ihren Stimmen honorieren werden.

Doch die Frage ist, ob ihm das reichen wird. Denn Dinkins' öffentliche Reputation als ein bedächtiger, auf Vermittlung abzielender „Mr. Nice Guy“ mit ethischen Prinzipien ist arg ramponiert – vor allem, nachdem seine Stadtverwaltung und seine Polizei im August 1991 komplett versagten, als es im New Yorker Stadtteil Crown Heights zu brutalen Ausschreitungen schwarzer Jugendlicher gegen chassidische Juden kam.

Ebenso wie Giuliani sein Auftritt vor demonstrierenden Polizisten und seine latent rassistische „law and order“-Rhetorik immer wieder vorgehalten wird, muß sich Dinkins immer wieder mit dem Stichwort „Crown Heights“ konfrontieren lassen. Und je enger das Kopf-an-Kopf-Rennen wird, desto weniger geht es in diesem Wahlkampf ums Temperament. Inzwischen geht es in erster Linie um die Hautfarbe. Mehr oder weniger unverhohlen bezichtigt die eine die andere Seite des Rassismus oder des Afrozentrismus – zum Widerwillen der New Yorker Wähler. Die möchten viel lieber wissen, wer demnächst möglichst viele Arbeitsplätze in die Stadt holt – und möglichst viele Schußwaffen aus dem Verkehr zieht.