: Mysteriöses Projektil in Bad Kleinen
■ Bei den Ermittlungen um den Tod von Wolfgang Grams sollen die Schweriner Staatsanwälte bewußt belastende Untersuchungsergebnisse verschwiegen haben
Berlin (taz) – Schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft in Schwerin: Andreas Groß, Rechtsanwalt der Eltern des in Bad Kleinen erschossenen RAF- Mitgliedes Wolfgang Grams, hält den Ermittlern vor, „der Öffentlichkeit in den letzten Wochen nur die die Beschuldigten entlastenden Teilerkenntnisse mitgeteilt“ zu haben. In einem „Todesermittlungsverfahren“ soll die Schweriner Staatsanwaltschaft klären, wie Grams bei der mißglückten Festnahmeaktion der GSG9 in Bad Kleinen ums Leben kam. Die Gutachten der Universität Münster und der Züricher Stadtpolizei enthalten dem Anwalt zufolge aber „Untersuchungsergebnisse, die den Verdacht einer vorsätzlichen Vertuschung der tatsächlichen Geschehensabläufe in Bad Kleinen durch Beamte weiter erhärten“.
Dem gerichtsmedizinischen Institut der Universität Münster sei etwa am 12. Juli ein brauner Papiersack übergeben worden, der die Kleidung des Beamten enthalten sollte, der als erster an den zwischen den Gleisen liegenden Grams herangetreten ist. Nach der Aussage einer Kioskverkäuferin soll dieser Polizist Schüsse auf Grams aus nächster Nähe abgegeben haben. Das Gutachten, so der Anwalt, vermerke zu der übergebenen Hose: „offensichtlich frisch gewaschener Zustand“. Weiter werde die abgegebene Jacke des Beamten als „dunkelblaue Steppjacke beschrieben“ – die Augenzeugin hatte in ihrer Aussage von einer „weinroten“ gesprochen.
Unterdrückt wurde offensichtlich auch ein Widerspruch, auf den der Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei Zürich stieß. Nach der Auswertung eines Projektils, das auf dem Bahnhof in Bad Kleinen nachträglich sichergestellt wurde, kamen die Eidgenossen zu dem Ergebnis, „daß sich das Projektil Asservatnummer LKA 5 von allen Projektilen der uns bekannten im vorgenannten Fall mitgeführten Munitionsarten unterscheidet“. Nach der Untersuchung stehe fest, daß die Kugel weder aus einer der untersuchten Polizeiwaffen noch aus den Pistolen von Grams oder von der in Bad Kleinen verhafteten Birgit Hogefeld abgefeuert wurde. In dem Züricher Schreiben finde sich weiter auch der Hinweis: „Auf Anordnung des Oberstaatsanwaltes Schwarz werden die oben angeführten Erkenntnisse in den Teilergebnissen Nr. 4 vom 18.10.93 nicht angeführt“. Schwarz leitet die Ermittlungen der Schweriner Staatsanwälte.
Der Hinweis darauf, daß bei der Schießerei eine bislang unbekannte Waffe im Spiel gewesen sein könnte, was die verbreitete These vom Selbstmord erschüttert, wird, so der Anwalt, „der Öffentlichkeit bewußt verschwiegen“. Wolfgang Gast
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