Phantasie erschwert Aufklärung

■ Sexueller Mißbrauch: Kinder malen Dinge aus, die sie aufgeschnappt haben

Osnabrück Ein fünf Jahre altes Mädchen bringt im Kindergarten mit Wachsmalkreide schier Unglaubliches zu Papier: Da sind Männer mit furchterregenden Gesichtern und übergroßen Geschlechtsteilen zu sehen. Schnell wird der Verdacht laut, das Kind sei sexuell mißbraucht worden. Eine Spirale von Verdächtigungen kommt in Gang. Sind derartige Zeichnungen immer glaubwürdige Hinweise auf ein Verbrechen? Der Kölner Psychologe Udo Undeutsch verneint das entschieden: Kinder malen nach seinen Erkenntnissen viele Dinge, die sie irgendwo in Gesprächen aufgeschnappt haben.

Die übereifrige Interpretation von Kinderzeichnungen im Hinblick auf möglichen sexuellen Mißbrauch ist für den Wissenschaftler eher der Ausdruck einer „Massenhysterie“. In mehreren hundert Fällen hat er die Glaubwürdigkeit von angeblich mißbrauchten Kindern als psychologischer Sachverständiger untersucht. Auf einer Tagung von Rechtspsychologen, die am Wochenende in Osnabrück zu Ende ging, berichtete er über seine Gutachter-Erfahrungen und stellte neueste Forschungsergebnisse zum sexuellen Mißbrauch vor.

Im Gegensatz zu Kinderzeichnungen ließen sich aus dem Gespräch mit möglichen Opfern sichere Hinweise auf ihre Glaubwürdigkeit entnehmen, sagte Undeutsch. Eine Aussage sei mit ziemlicher Gewißheit wahrheitsgemäß, wenn das Kind im Vier-Augen-Gespräch mit dem psychologischen Sachverständigen über Details der Schandtat berichte und dabei auch Reaktionen des Peinigers miteinbeziehe. In 90 Prozent der Fälle könne unter anderem auf diese Weise die sehr wahrscheinliche Glaubwürdigkeit festgestellt werden.

Doch immer häufiger kommt es vor, daß mittlerweile zerstrittene Eltern den ehemaligen Partner bezichtigen, sich am gemeinsamen Kind vergangen zu haben. Diese Jahr beschäftigte der so gelagerte Fall von Woody Allen die Öffentlichkeit: Der amerikanische Regisseur wurde von seiner Ex-Geliebten Mia Farrow beschuldigt, an der sieben Jahre alten Adoptivtochter Dylan unzüchtige Handlungen vorgenommen zu haben. In solchen Auseinandersetzungen, die oft auch bei einer Scheidung über das Sorgerecht für das Kind entscheidend sind, sei erfahrungsgemäß die Glaubwürdigkeit des Kindes in jedem dritten Fall fraglich, berichtete Undeutsch.

Der Psychologe erzählt, wie eine Mutter ihre Tochter nach einem samstäglichen Besuch beim getrennt von ihr lebenden Mann intensiv befragte. „Die Mutter hatte wohl Schreckensberichte über Vergewaltigungen von Kindern im Kopf“, schätzt Undeutsch die Situation ein. Am Ende der Befragung nach konkreten sexuellen Handlungen entstand beim Kind der Eindruck, es habe dies alles wirklich erlebt. In der Regel sei ein Elternteil, das sein Kind derart befragt, wirklich besorgt um das Wohl des Sprößlings. Daß die Befragung geschickt zum Zweck der Intrige eingesetzt wird, sei höchst selten. Das Ergebnis ist jedoch meist ähnlich: Den Vater trifft der soziale Bannstrahl, weil er das Kind sexuell mißbraucht haben soll. Nur die wenigsten können mit diesem Vorwurf ihr tägliches Leben so unbelastet wie zuvor bestreiten. Rolf Lampe / dpa