Abseits, aber konsequent

■ Gesichter der Großstadt: Die promovierte Politologin Renate Jacob ist seit einem Jahr Geschäftsführerin der Glaserinnung, bislang eine Domäne der Männer

Eigentlich wollte sie in den diplomatischen Dienst gehen. Verfeindete PolitikerInnen zusammenführen, zwischen Staaten vermitteln – für Renate Jacob ein Traumjob. Daß meistens alles ganz anders kommt, die Lebens- und Berufsplanung über den Haufen geworfen wird oder werden muß, bereitet vielen Menschen Selbstzweifel und schlaflose Nächte. Über solche Zukunftsängste kann Renate Jacob nur lachen. Die 43jährige hat ihr Leben schon einige Male umgekrempelt, und zwar grundlegend. Deshalb ist es für sie auch nur konsequent, daß sie als promovierte Politologin nach 14 Jahren Schuldienst eine völlig neue berufliche Laufbahn eingeschlagen hat: Seit knapp einem Jahr ist Renate Jacob Geschaftsführerin der Glaserinnung Berlin – eine Führungsposition in einem Handwerksberuf, in dem bisher immer nur Männer das Sagen hatten. Der Anfang ihrer Karriere war dagegen schnurgerade und kreuzbrav: Nach dem Abitur studiert die waschechte Berlinerin in Arkansas/USA politische Wissenschaften und Englisch. Die Vereinigten Staaten reizen die damals 17jährige ganz besonders, weil sie einen amerikanischen Brieffreund hat, den sie nach fünf Jahren Luftpostverkehr endlich „leibhaftig“ kennenlernen möchte. Die platonische Zuneigung per Brief verwandelt sich bald in Leidenschaft, Renate Jacob verliebt sich heiß und innig in den Brieffreund und heiratet ihn. Zusammen gehen sie zurück nach Deutschland, wo ihr Ehemann in Heidelberg auf einer US-Base als GI stationiert wird. Renate Jacob beginnt, sich nicht nur für Lehrbücher, sondern auch für praktische Politik zu interessieren: „Wir sind zusammen auf Demos gegen den Vietnamkrieg gegangen, obwohl mein Mann Soldat war“, erzählt die temperamentvolle Frau, die aus einer „pazifistischen Beamtenfamilie“ kommt. Doch die bittere Realität holt die damals 19jährige schnell ein: Im Juli '69 wird ihr Ehemann nach Vietnam abkommandiert, nur einige Tage nach seiner Ankunft wird er in einem Versorgungslager verwundet und stirbt. Zwei Monate später kommt Sohn David auf die Welt. Renate Jacob zieht zurück nach Berlin, um ein neues Leben zu beginnen. Sie studiert an der Hochburg des StudentInnenbewegung, dem Otto-Suhr- Institut. „Das war eine tolle und aufregende Zeit“, erzählt sie noch heute mit glänzenden Augen. Sie promoviert und fängt als Lehrerin an einer Gesamtschule an. Dort ist sie nicht zufrieden, sondern fühlt sich oft überfordert. „Ich konnte mich nicht immer auf die Psyche der SchülerInnen einlassen.“ Unzufrieden sein liegt Renate Jacob nicht, und so beschließt sie, nach elf Jahren mal wieder etwas ganz Neues zu machen. Ein Sprung ins kalte Wasser: „Ich habe dann Informatik und Betriebswirtschaftslehre studiert, na und“, sagt sie etwas schnippisch. Computer faszinieren sie, obwohl sie sich auch gegen die Volkszählung engagiert. „Die haben wenigstens keine Psyche“, meint sie lachend. Um das Studium zu finanzieren, jobbt sie halbtags in einer Glaserei. Und da läuft mal wieder alles anders als geplant. „Nach der Uni wollte ich gerne mit Frauen arbeiten“, sagt Renate Jacob, die sich als Feministin bezeichnet, „beispielsweise als Frauenbeauftragte.“ Der Job in der Glashandlung zeigt ihr eine völlig andere Welt, eine Männerwelt. Aber genau das ist eine Herausforderung für sie, und so zögert sie auch nicht lange, als ihr der Posten als Geschäftsführerin der Glaserinnung angeboten wird. Nach dem Motto „Mal sehen, was sie bringt“ wird sie anfangs argwöhnisch von den Glasermeistern (in Berlin gibt 190 Innungsmitglieder) betrachtet. „Die haben aber ziemlich schnell gemerkt, daß ich sehr wohl etwas bringe“, sagt sie grinsend. Besonders engagiert arbeitet sie an Computerprogrammen für das Glaserhandwerk und verhandelt mit Gewerkschaften genauso gerne, wie sie Unterricht für Lehrlinge gibt.

Als Hakenkreuzschmiereien in dem Ausbildungsgebäude in der Alten Jakobstraße auftauchen, versucht sie einen Dialog zwischen den Jugendlichen zu entwickeln. „Ich habe gemerkt, daß viele Lehrlinge ganz einfach Angst vor der Zukunft haben.“ Frauenbewegt ist sie ebenfalls geblieben: Um die Männerdomäne zu knacken, ermutigt sie die Ehefrauen der Meister, selbstbewußter und selbständiger zu werden – sie arbeiten häufig schlecht oder gar nicht bezahlt in den Büros ihrer Ehemänner mit. Nur einige Beispiele von vielen Dingen, die sie seit ihrem Amtsantritt in die Wege geleitet hat, immer nach ihrem Lieblingsmotto: „Ich bin konsequent, auch wenn ich abseits gehe.“ Julia Naumann