Das Posthorn bläst den Zapfenstreich

■ Ab heute bleiben siebzehn Postämter geschlossen / Ob Unterschriftensammlung, Demonstrationen oder Besetzung - die Post bleibt unnachgiebig / Innerhalb von drei Jahren wurden 55 Ämter dichtgemacht

Um fünf vor zwölf stehen noch lange Schlangen vor den Schaltern des Postamts 620 in der Innsbrucker Straße. Fünf Minuten später erklingt draußen der große Zapfenstreich. „Ich gehe jetzt abschließen“, verkündet der stellvertretende Betriebsleiter Harald Busch. Dreißig Jahre lang hat er in dem Schöneberger Amt gearbeitet, das am heutigen Montag, zusammen mit 16 anderen Berliner Postämtern, geschlossen wird. „Uns allen hier tut das sehr leid, weil wir ein sehr freundschaftliches Verhältnis zum Publikum haben. Das sind meistens 60- bis 70jährige, die jetzt einen weiteren Weg zur Post haben“, meint Busch.

Tatsächlich sind auf der Kundgebung am Samstag mittag auf dem Innsbrucker Platz, zu der die Gewerkschaft Postverband aufgerufen hatte, auffallend viele Senioren versammelt. „Ich bin 90 Prozent schwerbeschädigt und darf nicht lange laufen“, klagt die 72jährige Ursula Roggenbruk, die von nun an zum Postamt in der Hauptstraße gehen muß, einen Kilometer weiter als früher. Eine ebenfalls schwerbehinderte 56jährige schließt sich an: „Ich weiß nicht, wie ich in Zukunft meine Pakete zur Post kriegen soll, denn ich darf nichts Schweres tragen.“

Im Namen der Kunden protestierte Hand-Georg Leszinski vom Postverband vor den etwa 200 Demonstranten gegen die Schließungen: „Kalt lächelnd“ habe die Bonner Postdirektion trotz Tausender Unterschriften für die Erhaltung der Filialen ihre Planungen durchgeführt. „Aus Profitdenken wird über die Bedürfnisse der Bevölkerung hinweggesehen.“

Der Schöneberger Bezirksbürgermeister Uwe Saager (SPD) wies besonders darauf hin, daß das Postamt 620 behindertengerecht gebaut sei, dasjenige in der Hauptstraße aber nicht. Überdies werde der Innsbrucker Platz nach der Eröffnung der neuen S-Bahn im Dezember ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt sein. Uwe Dähn von Bündnis 90/Grüne betonte, daß längere Wege zum Postamt zwangsläufig mehr Straßenverkehr bedeuteten.

In einem überraschenden Auftritt präsentierte sich der Vorsitzende der neu gegründeten „Bürger- und Stadtpartei Berlin“ auf der Kundgebung. Sein genereller Lösungsvorschlag „Wählt die Brüder ab!“ stieß bei den Versammelten auf großen Beifall.

Aus Protest gegen die für heute vorgesehene Schließung des Postamtes 460 am Kamenzer Damm in Lankwitz haben sieben Rollstuhlfahrer das Amt am Samstag besetzt. Nach Angaben ihres Sprechers Michael Eggert verlangten sie, daß das einzige für Rollstuhlfahrer geeignete Amt in ihrer Gegend geöffnet bleiben müsse. Die Rollstuhlfahrer wollten die Aktion fortsetzen, bis die Schließungsentscheidung zurückgenommen würde, sagte Eggert.

Die Post begründet die Schließung der Ämter mit zu hohen Kosten für nicht ausgelastete Filialen. In den letzten drei Jahren wurden die Postfilialen in Berlin von 242 auf 187 reduziert. Diese Schließungen seien angesichts eines Kundenrückgangs von dreißig Prozent, vor allem im Postbankbereich, die einzige Alternative zu einer Erhöhung der Gebühren, sagt Claudia Haß, Pressesprecherin des Postdienstes, Direktion Berlin.

Die 88 Mitarbeiter der Filialen, die seit heute geschlossen sind, werden in benachbarten Postämtern weiterbeschäftigt. „Dort gibt es dann mehr geöffnete Schalter und kürzere Wartezeiten“, verspricht Claudia Haß.

In diesem Jahr führt der Postdienst außerdem in ganz Deutschland etwa 500 sogenannte „Postagenturen“ ein. Bei dieser Vertriebsform bieten Einzelhandelsläden Dienstleistungen der Post an – neben dem Verkauf von Briefmarken und Telefonkarten auch Paketdienst sowie Dienstleistungen der Postbank. In Berlin wurde vor zwei Wochen die erste Postagentur in „Astrid's Fotoshop“ in Düppel eröffnet, bis Ende dieses Jahres ist die Eröffnung dreier weiterer Postagenturen am Berliner Stadtrand geplant.

Der Pressesprecher der Gewerkschaft Postverband, Michael Klein, hält diesen Service „als Ergänzung für sinnvoll – als Ersatz dient er aber nur dem Plattmachen von Arbeitsplätzen“. Klein befürchtet außerdem Servicemängel bei den Postagenturen, da deren Mitarbeiter dafür nur in einem einwöchigen Schnellkurs ausgebildet werden. Miriam Hoffmeyer