■ Bunsenbrenner
: Warum nicht jedem sein eigenes Ersatzteillager?

In der letzten Woche sorgte das Experiment eines amerikanischen WissenschaftlerInnenteams unter der Leitung des Reproduktionsmediziners Jerry Hall für weltweite Entrüstung. Hall hatte in seinem Labor an der Washingtoner Universität 17 Embryonen auf 48 vervielfacht und über dieses Experiment öffentlich berichtet. Damit ist zum ersten Mal bekanntgeworden, daß sich ForscherInnen an der Klonierung menschlicher Embryonen versuchen. Dabei ist der Vorgang des Klonens medizintechnisch nichts sonderlich Neues. In der Tierzucht gehört er inzwischen zum Standardverfahren: So werden die befruchteten Eizellen besonders leistungsstarker Milchkühe oder preisgekrönter Rennpferde inzwischen nicht nur häufig in vitro gezeugt, sondern im Verfahren des Embryosplittings werden auch gleich mehrere identische Kopien hergestellt. Der Durchbruch von Hall liegt auf einer anderen Ebene. Er brach mit einem Tabu, indem er nicht nur menschliche Embryonen klonierte, sondern damit auch bewußt an die Öffentlichkeit ging. Und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem in den USA ein liberalerer Präsident möglicherweise auch die während der Bush-Ära erfolgte Einfrierung der Gelder für Embryonenforschung wiederaufheben könnte. Halls FachkollegInnen honorierten diese heldenhafte Tat dann auch mit einem Preis.

In der Bundesrepublik, so wird beschwichtigt, verbiete das 1991 in Kraft getretene Embryonenschutzgesetz diese Art von Experimenten. Allerdings bezweifeln das inzwischen eine Reihe von RechtsexpertInnen. Zwar untersagt das Gesetz das Klonen menschlicher Embryonen. Doch bezieht sich das nur auf „befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizellen“. Über „nicht entwicklungsfähige“ Embryonen schweigt sich das Gesetz aus. Es überläßt es letztendlich den WissenschaftlerInnen selbst, zu definieren, welcher Embryo als entwicklungsfähig gelten könnte und welcher nicht. Genau um solche „nicht entwicklungsfähigen“ Zellformationen ging es im Experiment von Hall. Nach Angaben des Wissenschaftsmagazins Science verwendete Hall Embryonen in einem frühen Teilungsstadium, die für die Re-Implantation in den Mutterleib nicht geeignet erschienen. Da mehrere Spermien in die Eizelle eingedrungen waren, enthielten die Zellen mehrere Chromosomensätze. Inwieweit es sich bei diesen frühen Embryonen um den normalen „Abfall“ in der Menschenproduktion der FortpflanzungsmedizinerInnen handelt oder ob die WissenschaftlerInnen eigens solche nicht entwicklungsfähigen Embryonen für ihr Experiment erzeugt haben, bleibt dabei ungeklärt.

Trotz aller Beteuerungen von ReproduktionsmedizinerInnen bleibt doch die Frage, inwieweit in deutschen Labors Experimente mit nicht entwicklungsfähigen oder auch entwicklungsfähigen Embryonen durchgeführt werden. Denn der Gesetzgeber hat im Embryonenschutzgesetz keine Regelungen für eine wirksame Kontrolle der Experimente von Repro-MedizinerInnen vorgesehen. Und der Staatsanwalt kann erst eingreifen, wenn ein begründeter Verdacht gegen ein bestimmtes Labor besteht. Doch die WissenschaftlerInnengemeinde hält dicht, selbst in dem Fall einer bekannten Kieler Reproduktionsmedizinerin, die, obwohl selbst Mitglied in der damaligen Ethikkommission der Bundesärztekammer, „zufällig“ versäumt hat, ihr Experiment – es handelte sich um das Einfrieren befruchteter Eizellen – vorzulegen.

Es ist scheinheilig, sich über dieses eine US-amerikanische Experiment aufzuregen und gleichzeitig die Reproduktionsmedizin generell zu verteidigen. Natürlich haben WissenschaftlerInnen recht, daß möglicherweise durch ihre Forschungen die immer noch bei zehn Prozent liegende Erfolgsquote der In-vitro-Fertilisation erhöht und damit einigen Paaren mehr der ersehnte Kinderwunsch erfüllt werden könnte. Auch könnte es möglich sein, daß durch die Transplantation von embryonalem Hirngewebe Menschen von Parkinson geheilt werden. Vielleicht kann sogar jeder sein Leben um 50 oder auch 100 Jahre verlängern, wenn sein eigenes Duplikat im Stickstoff-Safe aufgehoben und bei Transplantationsbedarf entwickelt wird. Jedem sein eigenes Ersatzteillager! Sind das nicht rosige Aussichten?

Mit der Isolierung des Embryos von der schwangeren Frau wurde der Grundstein gelegt. Der heranwachsende Embryo wurde aus der Intimität des Mutterschoßes gezerrt und ist seither der Handhabung durch Fremde ausgeliefert. Das ist noch nicht einmal ganz 20 Jahre her. Und trotzdem hat sich kulturell seither das Verständnis vom Schwangergehen grundlegend geändert. Fortpflanzung geriet immer mehr zu einem Herstellungsprozeß, und zwar möglichst hochwertiger Nachkommen. Inzwischen warten weltweit Millionen herrenloser Spermien, einsamer Eizellen und alleingelassener Embryonen, in Stickstoff tiefgekühlt, auf ihr weiteres Schicksal, das sich längst unabhängig von einer Mutter und einem Vater gestaltet. Halls Experiment verfolgt konsequent diesen Weg. Er tut es, wie er sagt, um Leiden zu mildern. Doch unter dem Banner angeblicher Menschlichkeit verschwinden fast unbemerkt immer mehr Orientierungspunkte menschlicher Existenz. So ist dank technischer Möglichkeiten auch der Glaube an unsere personale Einmaligkeit endgültig erschüttert worden. Eva Schindele