Die Simulation einer Wirklichkeit

Letzte Woche konstatierte die RAF-Gefangene Mohnhaupt einen endgültigen Bruch zwischen den Celler Gefangenen und den RAF- Aktiven auf der einen und den übrigen Inhaftierten auf der anderen Seite. Hintergrund waren die Bemühungen der Celler, über den Vermittler Ströbele an Ignatz Bubis und Edzard Reuter heranzutreten. Beide sollten für eine politische Lösung der Gefangenenfrage werben. Nach dem Mohnhaupt-Brief hier die Stellungnahme des Celler Gefangenen Dellwo:

Wir haben weder Reuter noch Kohl noch sonst jemand einen Deal angetragen, wir haben auch keine „Abwicklung“ betrieben, schon gar nicht ist eine „Gesamtlösung“ an irgend jemand herangetragen worden. Es ging um die Frage, ob sich eine „dritte“ Position herstellen läßt, die unabhängig von uns, trotzdem den Bezug zu uns haltend, etwas tun kann. Öffentlich wie nichtöffentlich. Wir haben in zwei Richtungen gesprochen:

Leute suchen, die das, was die RAF und die Gefangenen in den letzten Jahren versucht haben, als vernünftig sehen und deshalb unterstützen wollen; politischen Druck machen in den Reihen der Gegenseite.

Was wir tatsächlich im Frühjahr dieses Jahres gemacht haben, sowohl in politischer Bestimmung, inhaltlichem Umfang und politischem Hintergrund kann man beiliegendem Brief (Auszug) entnehmen, den ich an Brigitte Mohnhaupt Anfang Oktober geschrieben hatte. Auch die anderen Gefangenen haben von diesem Brief Kenntnis.

Der Bruch in der Gefangenengruppe hat seine Vorgeschichte, die lange in die Vergangenheit zurückreicht. Wir werden uns dazu extra äußern. Die Zeit ist zu kurz, um diese Entwicklung hier und heute in ausreichender Klarheit darzulegen. Es ist falsch und Brigitte weiß es, wenn sie behauptet, ihr Leben und ihr Kampf hätten hinter ihrem Rücken abgewickelt werden sollen.

Was Brigitte Mohnhaupt erzählt, ist die Simulation von Wirklichkeit. Das Szenario, das sie mit Erleichterung nach außen trägt, gibt das Bedürfnis wieder, sich der politischen Widersprüche in der Gefangenengruppe, gegenüber der RAF und Teilen der radikalen Linken über moralische Verdächtigungen zu entledigen. In diesem Abspaltungsprozeß wird alles Negative auf uns und die RAF abgeladen, alles Positive für sich reklamiert.

Zu den in dieser Erklärung und den im Anschluß daran in den Medien verbreiteten

Mitteilungen, kann ich heute nur sagen:

– Es ist Unsinn, zu behaupten, eine Entwicklung in die politische Agonie habe 1992 damit begonnen, daß die Grundlagen unserer Politik weggekippt worden seien. Wir halten fest: Am 10.4.92 hat die RAF erklärt, sie nehme für den jetzt notwendigen Prozeß die Eskalation zurück. Irmgard Möller hat zurecht und für alle Gefangenen die Erklärung der RAF begrüßt und sich dieser Erklärung angeschlossen. Es ist nirgendwo veröffentlicht, daß Brigitte Mohnhaupt der Erklärung von Irmgard Möller oder der der RAF widersprochen hat. Daß die alte Konzeption RAF nicht zu halten ist, wußten und wissen alle. Helmut Pohl schrieb, daß ihm immer schon bewußt war, daß am Ende eine Aufhebung

der

RAF steht. Es gibt aus 1992 zahlreiche Äußerungen von Gefangenen, „daß die globalen und innergesellschaftlichen Umbrüche so tiefgehend sind, daß sie für alle eine einfache Fortsetzung der Politik und Praxis der siebziger und achtziger Jahre unmöglich machen“ (Irmgard Möller, Erklärung für die Gefangenen 15.4.92).

– Brigitte wirft uns vor, wir hätten gemeinsam mit der RAF einen Deal mit dem Staat abschließen wollen. Diese Logik weitergedacht, würde bedeuten zu behaupten, Wolfang

Grams sei beim Abschluß eines Deals erschossen worden. Das kann weder Brigitte Mohnhaupt noch irgend jemand anders ernsthaft meinen.

Die Kälte, die Wolfgang Grams hier trifft, wird zur Zeit gegenüber Birgit Hogefeld fortgesetzt.

– Ströbele hat weder verhandelt noch Zusagen noch sonstige Dealangebote gemacht, er hat vielmehr als jemand, der die ganze Geschichte (der RAF und der Gefangenen) von Anfang an kennt und in ihrer Dialektik einzuschätzen weiß, erklärt und darauf hingewiesen, daß die Regierung eine andere Entwicklung systematisch zerstört und für alles, was daraus kommen mag, dann auch allein die Verantwortung trägt. Ströbele hat als Politiker der Grünen mit Reuter gesprochen gegen die offenkundige Bewegungslosigkeit der Politik. Dafür hatte er unsere Zustimmung.

– Ignatz Bubis hatte kein Verhandlungsmandat. Er ist von Ströbele mit unserem Einverständnis angesprochen worden, ob er sich für die Forderungen der Gefangenen einsetzen will. Zu einem Besuch Bubis' bei uns und einer Darstellung unserer Position ihm gegenüber ist es leider nicht gekommen.

– Mit Bad Kleinen war eine neue Situation da. Das haben wir Ströbele gegenüber definitiv deutlich gemacht, auch, daß alles, was vorher überlegt war, jetzt keine Basis mehr hat. Der Kontakt zu Bubis war davon nicht berührt, weil es hier um die Kommunikation mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen zu unserer Situation ging.

Celle, den 29.10.93

Karl-Heinz Dellwo, auch im

Namen von Lutz Taufer und

Knut Folkerts und in Verbunden-

heit mit Birgit Hogefeld