„Von Freiheit weiter denn je entfernt“

■ Karl-Heinz Dellwo in einem Brief von Anfang Oktober an Brigitte Mohnhaupt

Gegen einen subjektiven Zustand zu argumentieren, in dem Wut und Rache dominiert, ist wahrscheinlich aussichtslos. Das einzige, was rauskommen wird an dem, was unter den Gefangenen läuft, ist, daß die Gesellschaft mit einem weiteren sektiererischen Zerfallsprozeß gelangweilt wird. Zur Sache selber will ich aber noch etwas sagen, auch für andere. Ich kann da gut zu stehen.

Ich habe Ströbele kommen lassen vor Monaten aus der Überlegung, daß wir alleine auflaufen werden gegen jene in Politik und Staatsapparat, die in diesem Konflikt längst schon heimisch geworden sind (was ja auch mal alles kritisiert bei uns, daß zu viele sich mit unserer politischen und praktischen Realität arrangieren können). Wir haben in zwei Richtungen gesprochen: Leute suchen, die das, was die RAF und die Gefangenen in den letzten Jahren versucht haben, als vernünftig sehen und deshalb öffentlich unterstützen wollen; Druck machen in den Reihen der Gegenseite.

In ersterem sind wir auf Bubis gekommen. Er wurde angesprochen, was sich als sinnvoll herausstellte. Von ihm kam, daß er selber mit uns sprechen wollte, um direkt zu hören, was wir wollten. Wir haben dem natürlich zugestimmt (und hätten ihm dabei auch vorgeschlagen, nach und nach einige andere Gefangene zu besuchen). Daraus ist bis jetzt nichts geworden, denn Kohl nahm ihn bei irgendeiner Gelegenheit kürzlich beiseite und erklärte, er sei gegen diesen Besuch, „solange Bad Kleinen nicht zu Ende ermittelt sei“. Er habe aber Ende September ein Gespräch mit Kohl und Kanther und will dabei auch ansprechen, warum sich nichts getan hat.

Ganz anders bestimmt ist die Reuter-Sache. Es ging darum, daß jemand von „außen“ (also außerhalb unseres Zusammenhangs) sie aus einer Einschätzung der Situation heraus, wie er sie selber vertreten kann, auf den Ernst der Lage aufmerksam macht, auf das, worauf es wahrscheinlich hinausläuft, wenn die Regierung ihre Haltung nicht ändert. Zu diesem Zweck habe ich mit Ströbele über die Situation diskutiert.

Auch daß er nicht in unserem Namen reden kann, daß er nicht verhandelt, keine Zusagen macht oder sonst etwas, sondern einfach, daß er als jemand, der die ganze Geschichte von Anfang an kennt und in ihrer Dialektik einzuschätzen weiß, darauf hinweist, daß die Regierung eine andere Entwicklung systematisch zerstört und für alles, was daraus kommen mag, dann auch alleine die Verantwortung hat.

Es war auf der Linie, was wir die letzten 1 3/4 Jahre gemacht haben und, trotz allem, Konsens der Gefangenen entlang unseren Forderungen war: um politische Akzeptanz für unsere Sache zu kämpfen und öffentlichen wie nichtöffentlichen politischen Druck zu machen.

Es erbittert Dich, daß Du nicht gefragt worden bist, daß hier an Dir was vorbei gemacht wurde? Das war für uns auch ein Problem und wir hätten es lieber anders gemacht. Aber was wäre passiert, wenn ich Dir oder Helmut das z.B. vorgeschlagen hätte? Ihr hättet es niedergemacht, wie jede Sache von hier! Die Absurdität dahinter ist der Besitzanspruch! Ihr stellt die Eigentumsfrage an der RAF! Das Mittel dazu ist die Permanenz der Liniendiskussion. Sie klärt natürlich nichts, sie erstickt nur. „An denen, die recht haben, geht jede Idee

zugrunde“ – und das wird auch nur das Ergebnis sein von Helmuts Erklärung: Bedingungen zerstören. Viel mehr enthält sie ja nicht, außer ein paar Unwahrheiten.

Euch entgrenzt immer alles, weil Euch irgendwie Eure eigene Subjektivität unbegriffen bleibt. Für Eure Ansprüche gegen die draußen seid Ihr derzeit auch am falschen Ort. Auch sind diese nicht gerade durch die Ergebnisse Eurer eigenen Praxis, bei der rauskam, daß die danach von vorne anfangen mußten, legitimiert.

Die Methodik und die politische Bestimmung lassen sich korrigieren; das Abrutschen in die Objektivationen, da, wo die Politik außerhalb von uns steht und sich selbst kreiert, kaum noch. Das haben wir an Euch gesehen, das haben wir selber erfahren und daran krankt bis heute alles.

Ihr sagt zwar selber, daß das Alte nicht fortzusetzen ist, aber es bleibt ein Widerspruch, solange Ihr denkt, daß Ihr die Alten bleiben könnt. Als wäre die Politik der Vergangenheit nur was äußerliches gewesen und hätte nicht auch als Subjektprägung nach „innen“ zurückgewirkt. Aber zur „äußeren“ Entfremdung lief eben auch die „innere“. Mit der kann man nur selber brechen. Statt aus dem zu lernen, wie die es draußen gemacht haben und wie es besonders in der August-Erklärung zum Ausdruck kommt, schmeißt Ihr ihnen Steine in den Weg, wo Ihr nur könnt, Häme, Verachtung, Denunziation. Nicht einmal der Tod von Wolfgang gebietet Euch Einhalt. Das ist das Traurigste.

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Bin ich auch für eine Gesamtlösung, so bin ich nicht für „abwickeln“. Für mich ist nur etwas zu Ende gekommen, wir stecken in der Sackgasse und aus der müssen wir raus. Das meint den anderen Aspekt von „Freiheit“, weil's nicht nur um die Freiheit der Gefangenen vom Knast geht. Freiheit meint die eines Neuanfangs und das impliziert auch die „Freiheit“ der Genossen draußen dazu. Es geht nicht darum, die Erfahrungen und Geschichte dazu abzuwerfen, sondern sie dafür nutzbar zu machen. Es ging nie um die Frage, „bewaffneter Kampf ja oder nein“. Das ist eine nutzlose Fragestellung, die dann nach vorne tritt, wenn die Form den Inhalt ersetzt.

Daß die alte Konzeption RAF nicht zu halten ist, habt Ihr unabhängig meiner Begründung selber gewußt. Helmut schrieb, daß ihm schon immer bewußt war, daß am Ende eine Aufhebung der RAF steht. Und trotzdem scheint es Euch ein Paradox zu bleiben, das Konzept aufzuheben und den Bruch zu halten, aus dem der bewaffnete Kampf früher oder später wiederkehren wird. Wenn gewiß auch in anderer Gestalt und auf einer anderen Bestimmung. Wenn man vom Prozeß ausgeht, müßte man begreifen können, daß wir immer in Durchgangsphasen sind. In ihnen durchschreiten wir Räume: hinter der nächsten Tür, um im Bildlichen zu bleiben, ist man vielleicht im Freien oder im nächsten Raum. Aber nicht mehr auf der gleichen Grundlage und im gleichen Zustand. Die letzten 25 Jahre sind ebenso ein Durchgangsstadium gewesen, für uns individuell (das ist aber nicht so wichtig), vor allem aber ein Durchgangsstadium linker Bestimmungen, in politischen Konzeptionen, in der Moral, auch Kultur, vor allem der Praxis. Das gilt also auch für die RAF. Auch sie ist nur ein vorübergehender Ausdruck der Situation, nicht ihre zeitlose Antwort.

Ich glaube aber nicht, daß es das war, was Helmut jüngst veröffentlichte: „... daß jetzt eine Situation Realität wird, aus deren Antizipation wir 20 Jahre gekämpft haben, um sie zu verhindern“. Niemand hat z.B. vorausgesehen, daß die „Ost-West-Demarkationslinie“ sich zugunsten des Westens auflöst. Auch haben wir uns zu anderen nicht im Wissen um die kommende Systemkrise unterschieden. Zu prognostizieren, daß die Entwicklung nur bedrohlicher werden kann, dazu gehört nicht viel.

Es gab schon vor uns die Erkenntnis „Sozialismus oder Barbarei“. Auch kann's das nicht gewesen sein, die objektive Entwicklung des Kapitalprozesses zu verhindern. So etwas wie die Aufhebung der Arbeit oder Krise des Werts ist gar nicht zu verhindern, es sei denn, durch eine Revolution. Aber das wäre ja nur eine Kinderbegründung, denn um zu ihr kommen zu können, muß der Prozeß überhaupt erst mal da durch.

Was also hatten wir anderen voraus, und an was müssen wir uns messen? Die Entscheidung zum materiellen radikalen Bruch mit den Gesellschaftsverhältnissen. Ein Endzeitbewußtsein über eine historische Periode. Das Wissen, daß wir eine andere Art zu leben und kämpfen finden müssen, daß wir eine neue Revolutionsvorstellung brauchen, den Bezug auf das Subjekt, also Bruch mit der Entfremdung als Orientierungskriterium der Politik, daß wir heute am Aufbau von Bewußtsein und Gegenkräften arbeiten müssen, wenn die kommende Systemkrise nicht über uns alle drüberschlagen soll. Und so manches mehr. Aber haben wir die erahnte Krise erkannt, theoretisch analysiert, begriffen und also auch die Antwort antizipiert? Die Krise der Arbeit und die Krise des Werts – haben wir sie gesehen, und wo sind dann die Antworten? Und da frag ich gar nicht, wo wir Bewußtsein darüber in der Gesellschaft geschaffen haben, sondern ich frage nach dem Bewußtsein darüber bei uns! Und wo war das in der Praxis?

Ein gesellschaftliches Umkehren wird nicht kommen, wenn es nicht auch aus den Leuten selber kommt, weil die Dinge des Lebens und der Gesellschaft ihnen jede Illusion über ihre Sinnhaftigkeit selber untergraben. Dann müßte man sich neu überlegen, was man macht. Aber deshalb läßt sich was Altes, das uns keinen Aufhebungsschlüssel – so auch keinen Zugang zu anderen – in die Hand gab, halt auch nicht fortsetzen. Eine auf die Gefangenen reduzierte Lösung aus dem „Umbruch“ oder der „politischen Grenze“ ist weder moralisch noch politisch legitimiert, ganz abgesehen davon, daß sie unrealistisch ist im Hinblick auf die nicht einfach zu ignorierenden Machtverhältnisse hier. Jedenfalls halte ich es für zweifelhaft, daß wir in einer Situation der eigenen wie der gesellschaftlichen Defensive dem Staat Haltungen aufzwingen, die ihm aufzuzwingen wir in sog. „offensiven Zeiten“ nicht in der Lage waren. Auch glaube ich nicht mehr daran, obwohl ich es mitvertreten habe und es ja auch schön wäre, daß an uns ein Umkehrungsprozeß möglich ist, weder an der Freiheitsfrage, noch wenn wir weitermachen wie bisher. Das war alles zu einfach gedacht. Vielleicht ist die Spur davon drin, aber zur Umkehrung wird es ganz anderer Inhalte, Kräfte und Formen bedürfen. Und solange wird natürlich auch keine Freiheitskampagne in Gang kommen, wie wir neurotisch Ziele setzen, für die alles, auch bei uns, fehlt, und die Leute spüren, daß ein Graben ist zwischen dem, was wir wollen, und dem, was wir können, und deshalb die Klappe runtermachen, denn Niederlagen haben sie genug gehabt.

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Ich hatte mal gehofft, wir könnten es gemeinsam schaffen, aus unserer Sackgasse rauszukommen. Als Gruppe sind wir von der Freiheit jetzt weiter entfernt als je zuvor. Die Spaltung der Gefangenen hat das über Bord geworfen, was über zwei Jahrzehnte unangefochten war. Als hättet Ihr irgendeine Frage damit gelöst. Es reicht nicht, die Freiheit zu fordern. Es reicht auch nicht, mit der Fortsetzung einer politischen Konzeption zu drohen, an deren Perspektive niemand mehr glaubt, weder wir, noch der Feind, noch die Linke oder die Gesellschaft. Wir hätten über uns reden müssen, statt über andere und gegeneinander. So wie die das draußen begonnen haben. Nur darin wird man wiedererkennbar, nur das schafft eine Grundlage für Solidarität. Und in dem Rahmen hätten wir darum kämpfen können. Aber Euer Verständnis scheint immer noch, daß sich die Leute immer nur zu Euch hinbewegen müssen. Ich bezweifle, daß das eine Haltung ist, die Revolutionäre kennzeichnet.