Staatskrise nicht ausgeschlossen

■ Ehemaliger Geheimdienst-Oberer: Präsident Scalfaro wußte von illegaler Nutzung von Geheimdienst-Geldern

Rom (taz) – Gerade noch hatten Italiens Politiker gejubelt: Die Gerüchte um verschworene Putschzirkel des Heeres, aufgrund deren eine Reihe von Offizieren amtsenthoben worden waren, werden von den Behörden als haltlos zu den Akten gelegt. Neue Erkenntnisse über die 15 Jahre zurückliegende Entführung und Ermordung des christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro erweisen sich als Auseinandersetzungen innerhalb der Roten Brigaden – nicht als Zeitbomben für damals amtierende Politiker.

Nun aber hat der vorige Woche verhaftete ehemalige Verwaltungschef des zivilen Geheimdienstes SISDI, Maurizio Broccoletti, völlig unerwartet am Wochenende böse Aussagen gemacht: Die ihm und anderen Mitgliedern seiner mit dem deutschen Verfassungsschutz vergleichbaren Institution zur Last gelegten Veruntreuungen von umgerechnet an die 80 Millionen DM seien mit vollem Wissen der zwischen 1982 und 1992 amtierenden Innenminister illegalen Zwecken zugeführt worden. Unter diesen Ministern: der heutige Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro, von 1983 bis 87 Chef des Innenressorts und damit Oberaufseher über den Geheimdienst.

Scalfaro reagierte empört, die „destabilisierende Absicht“ der Informanten sei eindeutig. Sollte die Sache nicht zweifelsfrei ausgeräumt werden, müsse er selbst ein Impeachmentverfahren gegen sich beantragen. Ministerpräsident Ciampi hat für morgen eine Regierungserklärung angekündigt, die angeblich alle Zweifel über den Vorfall und damit alle Schatten vom Staatschef tilgen soll. Solidarität wurde dem höchsten Repräsentanten Italiens auch durch Senat und Abgeordnetenkammer zuteil. Die Staatsanwaltschaft, der die Indiskretionen über die Vernehmungsprotokolle überaus peinlich sind, beeilte sich zu erklären, sie habe „keinerlei Fundament für die Anschuldigungen gegen den Präsidenten gefunden“.

Aber ganz so einfach ist die Angelegenheit nicht zu beseitigen. Selbst wenn sich herausstellt, daß Broccoletti im Falle Scalfaros gelogen hat – nur auf ihn beziehen sich die bisherigen Dementis der Ermittler –, so sind einerseits mindestens drei andere ehemalige christdemokratische Innenminister mit betroffen. Andererseits wollen nahezu alle Fraktionen in Dringlichkeitsanfragen wissen, welche Konsequenzen der derzeitige Innenminister Nicola Mancino – erst seit 1992 im Dienst und daher nicht beschuldigt – aus der Tatsache zu ziehen gedenkt, daß jene „destabilisierenden Elemente“, die Präsident Scalfaro angeprangert hatte, auch unter seiner Amtsführung noch immer Manöver dieser Art durchzuführen imstande sind.

In der vergangenen Woche hatte sich herausgestellt, daß eine Reihe Geheimdienstler die von ihnen als „Beweis“ neuer Terroristentätigkeit aufgefundenen Bomben selbst gelegt hatten. Mancino ist der elfte Innenminister in Folge, dem die Geheimdienste derart aus dem Ruder laufen. Werner Raith