Arbeit vom „General“

Der Waschmittelhersteller Henkel baut in Genthin eine neue Produktionsanlage für den Reiniger  ■ Aus Genthin Frank Brendel

Ende 1994 kommt „Der General“ nach Genthin. Der Waschmittelhersteller Henkel läßt dann seine Flüssigreiniger in den Hallen des früheren „VEB Waschmittelwerk Genthin“ in der sachsen- anhaltinischen Stadt produzieren. Die Düsseldorfer Firma wird bis dahin 110 Millionen Mark investiert und eine Produktionsstrecke für Flüssigwaschmittel aufgebaut haben. 100 neue Arbeitsplätze gibt es dann in der 17.000 Einwohner zählenden Stadt in Sachsen-Anhalt. Noch ein paar mehr baut Henkel in seinem Stammwerk in Düsseldorf ab.

Gleich nach der Wende hatte Henkel das von den Sowjets enteignete Werk wieder unter seine Fittiche genommen und die beiden Manager Ulrich Jahnke, 54, und Rolf Brose, 56, nach Genthin geschickt. Doch unter den Arbeitern des Werks war die Freude über das Engagement der kapitalstarken Westdeutschen schnell getrübt. Von den ehemals 1.700 Männern und Frauen, die hier flächendeckend für die gesamte DDR das Waschmittel „Spee“ herstellten und damit praktisch in jedem Haushalt vertreten waren, werden nur 250 übriggeblieben sein, bevor mit dem „General“ 100 neue Arbeitsplätze entstehen.

Ulrich Jahnke, der wieder zur Henkel-Zentrale nach Düsseldorf gehen wird, wenn „Der General“ kommt, vollstreckt die Sanierung vor Ort. Der sachlich freundliche und eloquente Jahnke erledigt seine Aufgabe dabei so überzeugend, daß alle Entlassungen bis jetzt im Einvernehmen mit dem Betriebsrat stattfanden. Das Genthiner Werk ist heute im Kern gesund, und Henkel hat sich durch seine Investitionen langfristig auf den Standort in Ostdeutschland festgelegt. Bereits 1992 wurden wieder Spee-Waschmittel im Ladenverkaufswert von 150 Millionen Mark produziert.

Rolf Lange, 54, verbreitet ein wenig sozialistische Nostalgie beim Werksrundgang. Der kleine kugelige Mann aus der zweiten Führungsebene nennt alle Arbeitenden beim Vornamen, grüßt jeden und wird von allen zurückgeduzt. Seit 27 Jahren arbeitet Lange hier, ist er für die Logistik der Anlieferungen und den Warenvertrieb zuständig.

Ein Hauch von Wehmut liegt auf seinem Gesicht, als er den alten Werkshafen vorführt. Zwei große Krananlagen standen hier, jetzt ist es noch eine, aber die ist auch schon lange nicht mehr in Betrieb. Lastwagen kamen im Sozialismus nur selten auf das Werksgelände, außer über den Binnenhafen floß der Warenstrom auf den Reichsbahn-Gleisen. Heute kommen nur noch 20 Prozent der Anlieferungen über die Schiene, raus gehen die Waschmittel nur noch per Lkw. Aber „die Logistik klappt jetzt besser, alles geht just in time rein und raus“, freut sich Lange.

Beruflich von der Wende profitiert hat auch Hans-Otto Schulz. Der 44jährige war schon zu DDR- Zeiten in der katholischen Kolpingfamilie aktiv, dadurch den üblichen Benachteiligungen ausgesetzt. Der Elektrikermeister arbeitet jetzt in den Ausbildungswerkstätten des Kolping-Bildungswerks Magdeburg, das zu „günstigen Konditionen“, so Schulz, Räumlichkeiten von Henkel auf dem Werksgelände erhalten hat.

100 Erwachsene fort- und weiterbilden Schulz und seine 13 Mitarbeiter derzeit, dazu kommen noch einmal 69 Lehrlinge, von denen elf im Lohnauftrag von Henkel zu Industriemechanikern und Chemiefacharbeitern ausgebildet werden. Arbeit bei Henkel finden die letzteren wahrscheinlich nicht. Freiwerdende Arbeitsplätze müssen nach einer Vereinbarung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat ehemaligen Spee-Werkern angeboten werden.

Die weitaus größte Zahl von Arbeitsplätzen auf dem Firmengelände bietet momentan die Qualifizierungs- und Beschäftigungs- Gesellschaft (QBG). 660 zumeist ehemalige Spee-Werker beseitigen die Altlasten und reißen nicht mehr benötigte Gebäude ein. Sind diese Arbeiten abgeschlossen, müssen sie gehen.

Dieter Muth, 56, der Chefkoordinator der QBG, war früher Leiter der Entwicklungsabteilung und ist durch seine parteipolitische Karriere im SED-Staat „schwer vorbelastet“, so Geschäftsführer Jahnke. Auch Jahnke hatte mit Muth „anfangs erhebliche Schwierigkeiten“. Heute schätzt er den „wendigen“ Muth als „effizienten Mitarbeiter, der schnell lernt“.

Eine andere Sichtweise haben diejenigen, die Muth aus der Vorwendezeit kennen. Die „rote Socke“ sei verantwortlich „für viele Umweltsauereien“, die dem Werk immmer noch große Probleme bereiten. Und Muth sei hier „der am wenigsten gegrüßte Mann“. Keiner außer Jahnke will im Zusammenhang mit Muth seinen Namen in der Zeitung sehen.

Keinerlei Sorgen ob irgendwelcher Anfeindungen muß sich die 30jährige Diplomsozialarbeiterin Regina Neumann machen. Die Westdeutsche ist angestellt beim Henkel-Förderwerk Genthin, das laut Satzung „ausschließlich und unmittelbar mildtätige ud gemeinnützige Zwecke verfolgt“. Möglich gemacht haben dies Düsseldorfer Henkel-Werker, die eine halbe Million Mark für Genthin sammelten, und die Konzernspitze, die weitere eineinhalb Millionen drauflegte.

Neumann und ihr freier Mitarbeiter, der Rechtsanwalt Peter Fedler, 28, haben allein letztes Jahr 500 verschiedene Genthiner in Angelegenheiten der Überschuldung, des Mietrechts, Arbeitsrechts oder auch bei persönlichen Problemen beraten, diverse Vereine mit Geld unterstützt und in Partnerschaft mit Jugendverbänden Ferienprogramme durchgeführt. Dies ist nicht nur Imagepflege für den Düsseldorfer Konzern. Schon der alte Konrad Henkel, Werksgründer in Genthin anno 1923, war mit dem Bau von Betriebskindergärten und der Förderung von örtlichen Sportvereinen seiner damaligen Zeit voraus. Durchaus zum eigenen Nutzen. Schon damals war der Krankenstand von Henkel-Mitarbeitern auffallend niedrig, die Produktivität auffallend hoch.