Asta, Tannenberg und der Buchstabentreue

■ Der Oldenburger Peter Vöge plant in Lesum ein „Zentrum für Buchkultur“: Kein Museum, sondern eine Werkstatt in Vollbetrieb

Ein „Zentrum für Buchkultur“ schwebt ihm vor, mit einer Druckwerkstatt, mit Buchbindewerkstätten, mit Ateliers für Radierung, Kalligraphie und Buchdruck, mit Papierwerkstätten, einem Herstellungsbetrieb für grafische Geräte, einer Buchhandlung — und mit Galerie und Café. Und Peter Vöge möchte mit seiner Idee nach Bremen: in die aufgelassene Jugendstrafvollzugsanstalt in Lesum. Die steht seit sechs Jahren leer und gammelt vor sich hin, die Stadt findet keinen Käufer.

Wer aber ist Peter Vöge? Vor zwölf Jahren hat der gelernte Drucker und Lehrer für Kunst und Politik in Oldenburg eine „ganzheitliche Druckwerkstatt“ gegründet. „Ich wollte weg vom frustrierenden Schulalltag und hin zum Lehren und Lernen in der reinen Form“, sagt er, „die Sprache auch andern Sinnen begreiflich machen“.

Peter Vöge rief die Druckstelle e.V. ins Leben und begann mit Aus- und Fortbildung für „praktische Spracharbeit“, wie er es nennt. „Das heißt ganz einfach, ich zeige Lehrern und Schülern, wie sie selber Texte setzen und Bücher machen können.“

Gearbeitet wird an den monströsen Maschinen von anno dazumal. Unterm Dach steht die dicke Druckwalze. Buchbindeprägepressen, Schriftgießergeräte und ein Handanleger von 1905 versperren die kleinen Räume und das verwinkelte Treppenhaus der ehemaligen

Peter Vöge in seiner „Druckstelle“, hinter sich aufgereiht noch ganz ungesagte WorteFoto: sip

Backwarenfabrik.

Der Rest der Oldenburger Druckwerkstatt ist angefüllt mit Buchstaben. An den Wänden Regale voller Alphabete, in der engen fetten Asta-Schrift, in der Grotesk, der Tannenberg, der Juwel, alle mit Farbresten oben

hierhin bitte das

Foto von dem Mann

vor den Lettern

auf. Und in jeder Schublade, die man aufzieht, noch mehr von den Bauklotzlettern. „Die Kinder spielen damit“, meint Vöge. „Mit ihnen machen wir am Anfang immer Plakate. Es muß ja groß und eindrucksvoll aussehen.“

Nach einem Robert-Bosch- Forschungsprojekt „Drucken als Lehr- und Lernbereich in Schule und Jugendarbeit“ hat Vöge seine Bildungsarbeit auf Krankenhäuser und Rehazentren, auf Behindertenwerkstätten und Jugendfreizeitheime ausgeweitet. Und sich gleichzeitig ein zweites finanzielles Standbein geschaffen: Herstellung und Vertrieb von Druckmaterial. Seine kleine Firma Drucken und Lernen schickt Handpapiersiebe, Zinnbuchstaben, alte, restaurierte Druckpressen an Künstler und Kleinverleger in ganz Deutschland.

„Der Markt ist zwar sehr klein, aber es schält sich doch aus

der industriellen Buchkultur wieder das Kunsthandwerk heraus“, so Vöge. Die Druckwerkstatt arbeitet selbst mit den alten Geräten und macht Sachen, die anderswo gar nicht mehr möglich sind. Buchrestauration, Goldprägungen, Gedrucktes auf Leder oder Sperrholz. Vöge sitzt aber auch täglich ein paar Stunden am PC und macht Druckvorlagen. „Das geht für mich zusammen.“

Seinen Ausgleich holt sich der Drucker beim Werkeln mit den Setzkästen und dem alten Gerät. „Wer drucken kann, kann alles nachbasteln und sich überall einmischen. Das Drucken hatte ja schon immer etwas Anarchistisches.“ Eine Handvoll gefälschter Papiere legt er auf den Tisch. Daneben kleine marmorierte Büchlein von Kinderhand mit einem Durcheinander von Lettern. „So etwas nenne ich die Typographie des Mangels. Kein Satz ist wie der andere, weil wir

gar nicht genügend Buchstaben haben. Und irgendwann werden selbst uns mit unseren 200 Schriften vollends die Alphabete ausgehen.“

Außer sie werden wieder hergestellt. Peter Vöge hat letztes Jahr eine stillgelegte Holzbuchstabenmanufaktur in der englischen Grafschaft York entdeckt. 500 Matrizensätze und eine Reihe selbstkonstruierter Fräsmaschinen aus dem Hause DeLittle schlummern dort seit Jahren. Der Oldenburger will nun das über hundert Jahre alte Familienunternehmen nach Deutschland holen und, soweit es geht, wiederbeleben. 50.000 Mark für den Ankauf und 200 Quadratmeter zusätzliche Betriebsfläche braucht Vöge dazu.

Die Manufaktur im Mittelpunkt alter Drucktraditionen — Peter Vöges Vorstellungen über eine Erweiterung seines Betriebs haben sich nun endgültig zu einem „Zentrum für Buchkultur“ ausgewachsen. Kein Museum, sondern Werkstatt, mit Ausstellungen, Touristenattraktionen wie Papierschöpfen und Buchbinden, mit Lesungen („ein Schwitters-Abend etwa“). Auch Bildungseinrichtungen könnten davon profitieren.

„Von der Stadt Bremen erwarten wir nun, daß sie uns ein geeignetes Gebäude günstig vermietet oder verkauft. Darüber hinaus wollen wir aber autonom bleiben und suchen uns selbst Förderer, Spender, Leute, die Lust haben, sich zu engagieren.“

Vöge hat einen Projektantrag eingereicht — Mißachtung war die Antwort. Nicht ganz, denn der Ortsbeirat Lesum will sich in seiner nächsten Sitzung das Projekt vorstellen lassen. In der Kulturbehörde scheint die dicke Mappe nicht angekommen zu sein. Abteilungsleiter Dieter Opper jedenfalls „wußte von nichts“, signalisierte jedoch: „No problem, sich damit auseinanderzusetzen.“

Vöge ist guten Mutes. Die „Bücherdörfer“ in Belgien, England oder den Niederlanden beweisen ihm den Bedarf der Leute. In den belgischen Ardennen zum Beispiel hat alles vor zehn Jahren mit einer Kiste voller Literatur angefangen. Mit der hat sich der Journalist Noel Anselot in dem kleinen Bergdorf Redu niedergelassen. Redu hat sich sich zu einem Mekka der Büchernarren entwickelt. 200.000 BesucherInnen nähren sich dort im Jahr. Silvia Plahl