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Nieder mit den Engeln

Der deutsche Film: süß-sauer bis starkdumm – Ein Bericht von den Hofer Filmtagen  ■ Von Mariam Niroumand

Es hatte etwas durchaus Tröstliches, in der Schlange vor der Hofer Kinokasse hauptsächlich jüngere Semester zu sehen. Irgendetwas vom Zusammenhang zwischen Kino und Krise, Pickelbefall, jungem Wahn und Randständigkeit leuchtete da auf; und da machte es schon gar nichts mehr, daß die traditionelle Fußballmanschaft der Filmtage mittlerweile eine Graumelierten-Riege vorschickt (Werner Herzog aber, der dieses Jahr auch den Hofer Treuepreis bekam, ließ sich nicht lumpen und schoß mit seinen 52 Jahren ein ziemlich fulminantes 2:0). Der Gedanke ist ein bißchen unter der bundesdeutschen Förderkultur begraben worden, daß es eben gerade die zartbitter schmeckende Mischung aus Endzeitstimmung und Hedonismus ist, der die besten Bilder gelingen. Nur zwei Beispiele: Meinen Lieblingsfilm, „Le fils du requin“ (Sohn des Haifischs) gleich vorneweg:

Die französische Regisseurin Agnès Merlet hat in der Libération geblättert und die Geschichte zweier Brüder von 12 und 14 Jahren gefunden, die jugendliche Delinquenten wurden, nachdem die Mutter weggelaufen war – ein Märchenstoff also, aber auch ein Road Movie, ein Dokudrama, ein Spielfilm eben. Die Jungen fahren ins Graue mit einem geklauten riesigen Bus, leben in Abrißhäusern bei hilflosen Helfern, tyrannisieren Mädchen, stechen mit Messern, brechen sich die Beine, bleiben schweigend im kalten Feld liegen. Frankreich ist dunkel. Hin und wieder sieht Martin, der einen Gedichtband von Lautréamont mit sich herumträgt, Goldfische, an denen er mag, daß sie plötzlich und unerwartet nach rechts drehen. „Eines Tags werden mein Bruder und ich uns in den Meeresgrund eingraben, und wir werden verschwunden sein. Dann wird uns das Meer hinunterziehen in sein blubberndes Gedärm, und all die Fische werden um uns herumtanzen, und das wird schöner sein als alle Sterne im Himmel.“

Und dann eine Komödie für alle Suizidalen von Berlin-Alexanderplatz: „Adamski“, von Jens Becker, der aus allen Berliner Quellen gezapft hat, was noch brauchbar ist jenseits von Ostler-Larmoyanz und Erich-Kästner-Nostalgie. Adamski ist ein kleiner Kerl mit Müffelsöckchen und Starrsinn, der den Umgang mit der schönen neuen Wendewelt jeden Morgen kurz vor dem Spiegel üben muß. Er wird Kaufhausdetektiv, rüffelt und wird gerüffelt und würde wahrscheinlich irgendwann im Bauch seines Kollegen verschwinden, wenn sich da nicht kleine Fluchten auftun würden. Eine ziemlich ringelbesockte Rothaarige (Nadja Engel mit Chaplinesquem Düsenantrieb) heißt allerhand mitgehen, wirklich virtuos, nicht kokett, und liefert ihrem Kerl ergeben ab, bis der verliebte Kaufhaustrottel ihr mit Video und Polaroid ein Angebot macht, das sie nicht ablehnen kann. Jens Becker ist ein Babelsberg-Absolvent, der inzwischen bei Wim Wenders studiert und der seine kleine Geschichte ohne weiteres hätte in den Sand setzen können: Aus höheren Engelssphären sprechen oder hausbackenen Babelsberg-Schmarrn präsentieren, wie Bernhard Sinkel mit seinem unsäglichen „Kinoerzähler“, der Schauspieler wie Armin Mueller-Stahl oder Eva Mattes an eine Sache verfeuert, die nicht einmal mehr Nostalgie ist, sondern nur noch blanker, merkwürdig deutschelnder Unsinn. Die Stummfilmzeit erscheint zugleich als die verlorene Unschuld der Republik, von Asta-Nielsen-Engeln und Kinokindern bevölkert (was haben die bloß alle immer mit ihren Engeln). Mit dem Ton kommt der Faschismus, und der jüdische Kinobesitzer versteht erst im Fegefeuer (der Kinobrand als Strafe für seinen Materialismus!), was es wirklich mit den Bildern auf sich hat...

Noch dem schwachsinnigsten deutschen Studentenfilm merkt man das tödliche Bemühen an, alles, aber auch wirklich alles zu sagen, und zwar richtig, und sich beizeiten auch auf die korrekte Seite zu schaffen. In „Schlaf der Vernunft“ (gibt es einen anmaßenderen Titel?) müssen die Ausländer gelbe Armbinden tragen, und unser Held kann noch gerade aus den Hallen des SFB die wahre Botschaft in die Welt senden, bevor er verschwinden muß. Starkdumm wurde es dann mit dem Science- fiction „Die halbe Welt“, einem Ozon-Inferno, in dem sich ausgerechnet der charmante Dany Levi für die Darstellung eines aufs peinlichste ostjüdelnden Händlers und Hehlers hergibt. Wann kommt ein Film, der sich mit den Mühen der Ebene auseinandersetzt, mit dem jungtürkischen, lauthupenden Machismo oder der Frage, ob wir islamischen Frauen auch gegen ihren Willen das Kopftuch abschwatzen wollen? Darf man über Minderheiten lachen?

Gurinder Chadha, Tochter eines Inders, der für die Engländer Bankangestellter in Kenia wurde, findet, man darf. Sie hat eine Gruppe indischer Damen in einem englischen Badeort versammelt. Der einen erscheinen mitunter indische Dämonen oder gefallene indische Mädchen mit blondiertem Haar, Whiskyglas und laszivem Gehabe, während die beiden Teenager aus dem Ghettoblaster einen indischen Rap hören. Chadha gelingt das Kunststück, ihre Vertrautheit mit der Ikonographie des indischen Kinos und zugleich dessen Campness sichtbar zu machen; so würde ein Engländer niemals Äste filmen oder einen Wassersprenger im Park. Seit „My Beautiful Laundrette“, „Riff- Raff“ oder „Sammy and Rosie Get Laid“ hat das totgesagte englische Kino wieder Auftrieb, gegen die Konkurrenz eines exzellenten Fernsehprogramms und im wesentlichen von jenem finanziert.

Die Trophäe der diesjährigen Hofer Filmtage war der englische Regisseur Mike Leigh, dem eine große Retrospektive mit zwanzig ebenfalls meist fürs Fernsehen produzierten Kurz- und Spielfilmen gewidmet war. Leigh arrangiert desolate kleine Heimdramen; sprachlos erstarrte Postangestellte, monologisierende, philosophierende Bettler, verklemmte Börsenmakler und verwahrloste Punkerinnen, die er allesamt mit der brutalen Grazie eines Insektensammlers anfaßt. Nach einer Weile kennt man die Manier, und es regt sich der Verdacht, als sei der Antrieb dieses strengen kleinen Mannes eben doch wieder ein gewisser Widerwillen gegen den kulturellen Freistil, ein arroganter Blick auf das Kleinbürgermilieu. Warum das hierzulande wohl so gefällt?

Wir wissen es nicht, und Jörg Buttgereit weiß es auch nicht, und trotzdem hat er mit „Schramm“ einen Bild-Zeitungs-Kleinbürger- turned-Serial-Killer porträtiert, ohne der Versuchung nachzugeben, der „Kalifornia“ von Dominic Sera erliegt: sich vom Muster des Serienmordens alle eigenen narrativen Anstrengungen abnehmen zu lassen. Buttgereit weiß die slow motion der Marathonläufer zur Illustration des Wutpegels zu nutzen, mischt Kripo-Fotografie mit desorientierenden Vergrößerungen unappetitlicher Angelegenheiten und tut überhaupt alles, um sein vor allem jugendliches Splatter-Publikum bei Laune zu halten. Fröhlich rülpsend stürmten sie um zwei Uhr morgens aus dem Kino in den Hofer Nachtnebel.

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