„Das ist eine Revolte gegen den Frieden“

■ Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery über den Aufstand jüdischer Siedler in den besetzten Gebieten / „Die Siedler sind eine Sekte, die sich zunehmend selbst isoliert“

Avnery, 70, zog 1933 mit seinen Eltern aus Deutschland nach Palästina. Er gehörte als linker Abgeordneter zehn Jahre dem israelischen Parlament, der Knesset, an. Avnery lebt in Tel Aviv.

taz: Haben Sie in letzter Zeit den Wunsch verspürt, wieder als Knesset-Abgeordneter den Frieden mitzugestalten?

Uri Avnery: Ich bin politisch sehr beschäftigt in der „Peace now“-Bewegung. Letzten Samstag zum Beispiel haben wir in Ost-Jerusalem mit der PLO gegen die Errichtung einer neuen jüdischen Siedlung protestiert. Die Arbeit auf dieser Ebene, Frieden zwischen den Menschen beider Völker zu schaffen, ist mir inzwischen wichtiger als die in der Knesset.

Hat PLO-Chef Jassir Arafat den Friedensprozeß im Griff?

Die Mehrheit der Palästinenser steht heute hinter Arafat. Und täglich treten Leute von der Hamas- Bewegung und von der Volksfront zur Fatah-Bewegung über.

Woher wissen Sie das?

Das geschieht ganz öffentlich. Leute stehen auf der Straße, legen ihre Waffen nieder und sagen, ab jetzt sind wir Mitglieder der Fatah. Dasselbe passiert bei uns: Eine wichtige Gruppe innerhalb der Likud-Partei etwa wird sich mit Arafat in Tunis treffen.

Läßt sich der Siedler-Aufstand als ein Rückschlag für den Frieden begreifen in einem nach wie vor stark polarisierten Land?

Das kann man von der Ferne, von Deutschland aus betrachtet, sehr falsch einschätzen. Denn die Siedler sind nicht in der Offensive. Sie sind eine rechtsradikale religiöse Sekte, die sich zunehmend selbst isoliert, weil die große Masse des israelischen Volkes die Siedler fast schon haßt. Denn wenn man in Israel etwas gegen die Armee tut, ist das das unpopulärste, was man überhaupt machen kann.

Aber die Siedler haben einflußreiche Fürsprecher in der Knesset.

In der Knesset ja, der ganze rechte Flügel der israelischen Politik unterstützt die Siedler. Aber auch dort merkt man, daß es ein Fehler ist, das zu tun. Und viele Likud-Anhänger sagen: Dieser Frieden ist gut, wir müssen ihn doch versuchen, denn alles andere haben wir doch schon versucht.

Bei den Gesprächen über eine Teilautonomie von Gaza und Jericho sind auch die 110.000 jüdischen Siedler ein Thema. Israel will die Siedler auch künftig durch die israelische Armee schützen. Wer schützt denn da wen: Werden die Siedler vor den Palästinensern geschützt oder die Palästinenser vor den Siedlern?

Diese Frage ist schwer zu beantworten. Denn das Friedensabkommen läßt diese Fragen offen. Der Sinn der Siedlungen war, zu verhindern, daß jemals eine israelische Regierung diese Gebiete zurückgibt. Die Westbank und zum Teil auch der Gaza-Streifen sind ja ein Minenfeld, das man mit diesen Siedlungen vermint hat. Wenn man sagt, die israelische Armee muß diese Siedlungen beschützen und die Siedler machen diese Provokationen, dann ist das eine schwierige und brenzlige Lage.

Ein Sprecher der Siedler hat gedroht, künftig würden sich die Siedler verhalten wie die Untergrundbewegung Hamas.

Die überschätzen ihre eigene Kraft sehr. Aber die Siedler sind ja nicht eine Masse. Es gibt unter ihnen den harten Kern, diese ultrareligiöse, rechtsradikale nationalistische Sekte, und dann gibt es Tausende von Siedlern, die dort hinzogen, weil sie umsonst ein Haus bekamen. Diese Siedler werden in aller Stille abhauen, und das tun sie auch schon. Der harte Kern dagegen wird sich mit der Armee konfrontieren. Es hängt in großem Maße von Rabin ab, wie er die Armee einsetzt. Und ich muß sagen: In den letzten zwei Tagen hat sich Rabin als sehr starker und beschlußfreudiger Mensch erwiesen.

Es gab Zeiten, da haben Sie nicht so über Rabin geredet.

Ich habe bei den letzten Wahlen dazu aufgerufen, für Rabin zu stimmen, weil ich sicher war, in so einer Situation ist er der Richtige. Trotzdem bin ich kritisch gegenüber Rabin. Ich bin gegen die Art, wie Rabin die Verhandlungen führt mit allen möglichen ausrangierten Militärgouverneuren; daß man die Verhandlungen mit Syrien verschiebt und daß die palästinensischen Häftlinge nicht sofort alle entlassen werden. Aber in der Grundhaltung – im Kampf gegen die Siedler – verlasse ich mich auf Rabin beinahe vorbehaltlos.

Israels Tourismusminister Usi Baram hat den Aufstand der Siedler eine „jüdische Intifada“ genannt. Übertreibt er?

Das sagen die Siedler auch selbst. Das sind so Redensarten. Die wissen gar nicht, was sie da sagen. Intifada heißt Abschüttelung der israelischen Besatzung. Wenn die Siedler sich mit den Palästinensern herumschlagen wollen ohne uns, dann sollen sie das versuchen.

Der israelische Schriftsteller und „Peace now“-Aktivist Amos Oz hat kürzlich gesagt: „Friede heißt: aufhören zu töten und anfangen zu leben.“

Das ist sehr schön gesagt, aber leider hat sich Amos Oz vor ein paar Tagen einer Gruppe israelischer Autoren angeschlossen, die sagen, die Siedlungen müssen auch innerhalb eines palästinensischen Staates weiterbestehen. Und dadurch haben sie indirekt den Siedlern eine Legitimation gegeben, die die heute ausnützen in ihrer Revolte gegen den Frieden. Interview: Thorsten Schmitz