taz-Serie: Rot-Grün - (k)eine Perspektive für Hamburg?
: Flüchtlingspolitik: Augen zu und Schotten dicht

■ Gabi Gottwald vom Hamburger Arbeitskreis Asyl: Druck der Partei-Basis muß her

Der Schrecken über das Wahlergebnis saß tief. Die Rechtsradikalen hatten den Einzug in die Bürgerschaft nur verfehlt, weil ihre Stimmen gesplittet waren. Die Grünen zeigten sich trotz des hohen Wahlgewinns betroffen. Die SPD hat bei ihrem Klientel massiv Federn gelassen und kündigte lauthals eine politische Umkehr zugunsten der „kleinen Leute“ an. Unisono bestand Einigkeit über die Notwendigkeit eines stärkeren Engagements für den Erhalt der sozialen und politischen Demokratie.

Na denn mal los! Die Schwerpunktsetzung für die rot-grünen Verhandlungen und die Soll-Bruch-Stelle für ein eventuelles Scheitern waren damit eigentlich vorgegeben: soziale Verbesserungen, gesellschaftliche Demokratisierung, Kampf gegen den Rechtsextremismus, Integration von Minderheiten etc., und nicht zuletzt eine menschenwürdige Flüchtlings- und MigrantInnenpolitik.

Flüchtlings- und MigrantInnenpolitik in Hamburg ist knallharte Ausgrenzungspolitik und auf Behördenebene institutionalsierter Rassismus. Hamburg hat bundesweit die höchste Abschieberate, da es in diesem Bereich einen Eifer an den Tag legt, den es in anderen Bereichen (Unterbringung, Beratung etc.) vermissen läßt. Die Methoden erinnern wenig an das liberale Flair der freien Hansestadt. In Nacht- und Nebelaktionen zerren Rollkommandos schlafende Menschen aus ihren Betten, um sie in Abschiebehaft zu nehmen. Flüchtlinge werden in Massenunterkünften zentral gesammelt, sortiert und weiter verteilt. In Unterbringungen werden sie auf einen Sub-Standard festgeschrieben, der ihnen angemessen sein soll - und nur ihnen. Flüchtlinge werden so zu einer „Masse von Menschen“, zu „Ausländern“, die anders sind. Ein Staat, der so mit Minderheiten umgeht, muß sich nicht wundern, daß sein Vorgehen Spuren im Bürgerbewußtsein hinterläßt. Die derzeitigen Verhandlungen folgen jedoch offensichtlich einer anderen Logik. Voscherau ist der Zusammenhang zwischen staatlicher Ausgrenzungspolitik und gesellschaftlichem Rassismus gar nicht klar. Er treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus und sattelt noch drauf. Eine härtere staatliche Ordnungspolitik müsse her, um die „Ängste der kleinen Leute“ zu berücksichtigen, die er vorschiebt, um seine eigenen Saubermannphantasien durchzusetzen.

In seinem Eckpunktekatalog findet sich kein Gedanke über eine Politik zur Integration von Flüchtlingen und MigrantInnen, über Anstrengungen zum besseren Zusammenleben und Verstehen von Deutschen und Nichtdeutschen. Und an die Politikerthese, daß immer die Armen das rechte Wählerpotential stellen, glaubt er nicht. Die soziale Frage stellt keinen Eckpunkt für rot-grün dar.

Und die Grünen? In der Partei halten nicht wenige an der dringlichen Forderung nach sozialer Umverteilung fest. Und dieselben Leute wissen auch, daß damit allein einer zunehmenden Entdemokratisierung im gesellschaftlichen Bewußtsein nicht zu begegnen ist. Toleranz und Integration sind bei Beibehaltung der staatlichen Ausgrenzungspolitik nicht zu haben. Die höhere Wahl von Rechtsextremen in sogenannten sozialen Brennpunkten ist gerade auch wesentliches Produkt einer Regierungspolitik, die die Entsolidarisierung forciert und anheizt; dies in einer Situation, wo Solidarität von Reichen gegenüber Armen gar nicht erst eingefordert wird.

Ob auch die grünen ParteikaderInnen dies begriffen haben? Skepsis ist angesagt. Ihnen liegt der Obstruktionskatalog von Voscherau wohl mehr im Magen. Und für viele rangiert die Haushaltsverträglichkeit bereits weit vor der Sozial- und Demokratieverträglichkeit von Beschlüssen.

Was tun?

Ohne einen Druck von der Parteibasis gegenüber allerhand Technokraten in den Verhandlungskommissionen wird es nicht gehen. Die Parteimitglieder der SPD müßten schon ein wenig mehr Mut aufbringen, um in den Verhandlungen zumindest auf die Umsetzung ihrer eigenen Programmatik zu drängen. Daß selbst das mit Voscherau wohl nicht gehen wird, ist ein parteiinternes Problem, das nach Lösung drängt. Die grüne Basis sollte demokratische Spielregeln einfordern und das freie Herumturnen der Verhandlungskommission unterbinden. Ob diejenigen mehrheitsfähig sind, die eine Regierungsbeteiligung danach unterscheiden, was an gesellschaftlichem Spielraum für mehr Demokratisierung und sozialer Gleichstellung herausgeholt wurde, muß sich dann herausstellen. Und last but not least: Ein bißchen Dampf von außen kann nicht schaden - oder täte sogar Not. Manchmal gibt die Wirklichkeit mehr Spielräume für Veränderungen her, als die Politik nutzt.