Keine Vergewaltigungs-Hochburg

■ Bremer Innenressort hat die Statistik durchleuchtet / Kriminalität in Bremen, Serie 3. Teil

„Angsträume“ sind nicht immer „Gefahrenräume“Foto:Archiv

Nun ist es amtlich: Bremen ist nicht die Vergewaltigungshochburg der Bundesrepublik. Dieser Eindruck war im Frühjahr aufgrund eines Artikels in der „Freundin“ entstanden: Die Zeitschrift hatte die Polizeistatistiken von Großstädten verglichen. Danach kamen in Bremen auf 100.000 EinwohnerInnen 27,8 Vergewaltigungen, in Hamburg dagegen nur 18,6. Die Bürgerschaft beauftragte daraufhin den Senat, diese Spitzenstellung Bremens zu untersuchen und Vorschläge zur Prävention zu machen.

Das Ressort für Inneres hat seine Nachforschungen nun beendet: In Bremen werden nicht mehr Frauen als in anderen Großstädten vergewaltigt, lautet das Fazit. Allerdings erstatten hier mehr Frauen Anzeige. Denn vergewaltigten Bremerinnen werde der Gang zur Polizei erleichtert: Ihnen werden zum Beispiel Mehrfachvernehmungen erspart. Außerdem ist die Polizei angehalten, bei der Anzeigenaufnahme auch Angriffe als versuchte Vergewaltigung zu werten, die möglicherweise später vor Gericht eher als Raubversuch gedeutet werden. „Der Anstieg der Zahlen liegt also nicht an einer Zunahme der Delikte, sondern daran, daß wir weiter in das Dunkelfeld reinkommen als andere“, sagt Erika Pape-Post vomInnenressort.

Alles halb so wild, lautet demnach die Botschaft des Senators für Inneres. So sei die Zahl der Vergewaltigungen in Bremen in den letzten zehn Jahren nicht ge

stiegen, 1992 etwa wurden 134 Fälle angezeigt (dazu kommen nochmal fast so viele Fälle von sexueller Nötigung, zum Beispiel erzwungener Oralverkehr). Ärgerlich findet das Innenressort Umfragen wie die des Frauenressorts: Darin wurden die Bremerinnen gefragt, wo sie Angst haben. Doch die Orte, wo Frauen Angst haben, sind nicht die Orte, an denen tatsächlich Gewaltverbrechen passieren. Die Begegnung mit Vergewaltigern zum Beispiel findet überwiegend in Innenräumen statt. „Öffentliche Plätze und Wege sind nicht gefährlicher als private Räume“, so die Erkenntnis des Innenressorts.

Hartnäckig hält sich auch das Gerücht vom fremden Mann, der unverhofft hinter einem Busch hervorspringt. Nur ein Viertel der Täter ist den Vergewaltigten völlig unbekannt, sagt dagegen die Statistik des Bundeskriminalamtes. Im Dunkelfeld ist die Zahl der Fremdtäter noch geringer, wissen die Psychologinnen vom Notruf für vergewaltigte Frauen, zu denen auch viele Frauen kommen, die keine Anzeige aufgeben. „Selbst wenn wir also jede Haltestelle optimal ausleuchten und jeden Busch zurückschneiden, wird es Vergewaltigungen geben“, sagt Erika Pape-Post. Das würde die Frauen nur in falscher Sicherheit wiegen.

Auch wenn sich die Bedrohung für Frauen in Bremen nicht verschärft habe, so das Innenressort, sei natürlich jede Gewalttat eine zuviel. Prävention tut not: Vor allem will man die Frauen „sachgerecht informieren“ über die objektive Gefahrenlage. Außerdem soll die Polizei in Selbstverteidigungskursen für Frauen einfache, aber wirkungsvolle Tritt- und Schlagtechniken zur ersten Gegenwehr bei einem Überfall vermitteln. Auch im Schulsportunterrricht soll die Selbstverteidigung Platz finden. Bei der Auswertung der Bremer Vergewaltigungsakten aus dem Jahr 1992 hat das Innenressort nämlich festgestellt, daß in allen Fällen, in denen sich Frauen gewehrt haben (15 Prozent), der Angreifer in die Flucht geschlagen werden konnte.

Da Vergewaltigung überwiegend eine Beziehungstat ist, denkt das Innenressort auch über eine Streifenwagenbesatzung extra für Ehe- und Familienstreitfälle nach — möglicherweise begleitet von einem psychosozialen Notdienst. Dieses Team könnte mit den Betroffenen sofort über Maßnahmen zur Krisenintervention beraten. Denn allzuoft muß ein gewalttätiger und betrunkener Ehemann nach wenigen Stunden in Polizeigewahrsam wieder freigelassen werden, da kein Haftbefehl vorliegt.

Christine Holch