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Die Sache mit dem Kondom Von Andrea Böhm

Es ist mittlerweile ausführlich erörtert worden, daß AmerikanerInnen Schwierigkeiten mit einigen „C-Wörtern“ haben. Die drei, die bislang die stärksten Gegenreaktionen auslösten, lauteten: class, ein Wort, das man unbefangen und unverdächtig nur im Zusammenhang mit Schule, nicht aber im politischen Diskurs verwenden darf; communism und schließlich condom, ein Wort das geradezu fürchterliche Irritationen auslöst. Was wohl kein Wunder ist in einem Land, in dem Puritaner und Pornographen gleichermaßen Geld scheffeln können. Die Sache mit dem Kondom ist außerdem von aktuellem Belang:

Oktober ist in den USA „Aids- Awareness Month“ – eine gute Gelegenheit für Gesundheits-und Basisorganisationen wie die renommierte Whitman-Walker-Clinic in Washington, Aufklärungskampagnen zum Thema Aids zu starten. Die PR-Strategen in der Whitman- Walker-Clinic entschlossen sich zu einer ebenso einfachen wie eindeutigen message: Kondom, Kondom und noch mal Kondom. Auf Werbeplakaten und in Fernsehspots sollte eine ebenso bunte wie multikulturelle Versammlung von Gummiprodukten erscheinen – unverpackt und unschuldig, wie die Latexindustrie sie geschaffen hat. Bunt, weil's schöner aussieht, multikulti, weil's praktisch ist. Denn was bei den einen condom, jimmy oder life jacket heißt, nennen die anderen profilctico, gorrito oder sombrero. „It doesn't matter what you call it“, lautete der knappe Text in englisch oder spanisch dazu. „Wear it.“ (Zu deutsch: Egal, wie du's nennst, zieh's über.)

Zwei kleinere TV-Stationen und der Kabelanbieter „District Cabelvision“ erklärten sich umstandslos bereit, den Spot zu senden; die drei Washingtoner Lokalprogramme der großen TV-Gesellschaften ABC, NBC und CBS weigerten sich. Begründung: Herrschende Politik des Senders sei es, „keine Kondom-Werbung zu senden“ – auch wenn man das Thema safer sex und den „Zusammenhang mit ansteckenden Krankheiten für sehr wichtig“ halte. Mit freundlichen Grüßen...

Wie man im Jahre Elf der Aids- Epidemie, nachdem rund 200.000 Menschen in den USA an Aids gestorben und über 300.000 daran erkrankt sind – wie man also in diesen Zeiten noch so borniert sein kann, ist nicht nur den MitarbeiterInnen der Whitman-Walker-Clinic ein Rätsel. Immerhin kann sich die Whitman-Walker-Clinic damit trösten, daß sogar die altehrwürdige Washington Post die Anzeige abdruckte – auch wenn der Verlag auf ein paar Änderungen bestand: Die Kondome mußten wieder in der Packung verschwinden, da man die Leserschaft offenbar nicht mit nacktem Gummi konfrontieren mochte. Außerdem fand man einige der Spitznamen befremdlich – vor allem das unter Schwarzen gebräuchliche love glove (zu deutsch etwa: Liebesüberzieher) erregte Anstoß. Der Himmel weiß warum, denn unter phonetischen Gesichtspunkten ist es das eindeutig schönste Wort – vor allem, wenn man die Vokale in die Länge zieht und durch die Nase spricht.

Nachzutragen bleibt noch, daß die TV-Gesellschaften, sollte sich ihre Haltung zur Kondomwerbung ändern, „sich glücklich schätzen würden, mit der Klinik Kontakt aufzunehmen“. Aber dann nur mit Gummi, Ladies and Gentlemen. Hirnlosigkeit soll auch ansteckend sein.

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