Trügerische Ruhe herrscht in Rangoon

Birmas Militärjunta läßt wirtschaftliche Liberalisierung zu, reagiert aber weiter mit aller Härte auf Opposition / Ausgedehntes Spitzelsystem und weitere Verhaftungen  ■ Aus Bangkok Bertil Lintner

Birmas Hauptstadt Rangoon scheint zur Normalität zurückgekehrt zu sein. Die Häuser haben einen frischen Anstrich erhalten, die Straßen sind sauberer denn je. In den Märkten laufen die Geschäfte gut: dort gibt es nicht mehr nur Schmuggelwaren aus den Nachbarländern Birmas zu kaufen, sondern auch legal importierte Konsumgüter. Seit den Unruhen von 1988 hat das herrschende Militär den früheren kargen birmesischen Weg zum Sozialismus verlassen, der jahrzehntelang oberste Leitlinie des Regimes war. Von großen Plakatwänden herab werden die BirmesInnen nun aufgefordert, Pepsi-Cola zu trinken, Fuji-Filme zu verknipsen und Dunhill-Zigaretten zu rauchen. Sogar auf dem alten, ächzenden Zug nach Mandalay prangt Reklame für einheimische Kosmetika und Seife in bunten Farben.

Aber unter der friedlichen Oberfläche herrscht die politische Repression weiter, für ausländische Besucher nicht einfach zu entdecken. Trotz seiner Fassade der Normalität bleibt Birma das repressivste Land in Südostasien. „Gegenüber Außenstehenden sagen die Leute nichts Schlechtes über die Regierung, weil man niemandem trauen kann. Überall gibt es Polizeispitzel, in jedem Markt, jedem Teehaus und in jeder Straße. Die Leute haben tödliche Angst“, sagt Kyaw Tin, ein junger Birmese, der gerade sein Land verlassen hat, um Arbeit im benachbarten Thailand zu finden.

Und obwohl es keine offene Opposition gegen die gegenwärtig herrschende Militärjunta gibt, die sich seit ihrer Machtergreifung im September 1988 „Staatsrat zur Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung“ (SLORC) nennt, werden weiter Dissidenten verhaftet. Erst kürzlich wurde bekannt, daß im August in einem großen Aufwasch zwanzig Leute festgenommen wurden. Eine bekannte birmesische Schriftstellerin, Ma Thida, hatte einen regierungskritischen Text geschrieben und verteilt. Sie ist Mitglied der „National League for Democracy“. Die NDL ist Birmas wichtigste Oppositionspartei, die bei den Wahlen im Mai 1990 eine überwältigende Mehrheit errang, dann aber vom Militär daran gehindert wurde, eine Regierung zu bilden. Zusammen mit Ma Thida wurden einige weitere prominente NDL-Mitarbeiter festgehalten, darunter drei Personen, die vor drei Jahren ins Parlament gewählt worden waren.

In einem anderen Vorfall, der offiziell vertuscht wurde, hat es am 18. September in der im Norden gelegenen Stadt Mandalay seit langer Zeit zum erstenmal wieder Auseinandersetzungen zwischen demonstrierenden Studenten und der Polizei gegeben. Trotz solcher verstreuter Proteste ist die Herrschaft des Militärs heute fester verankert als irgendwann seit 1962, dem Jahr, in dem es sich zuerst an die Macht putschte – und obwohl die Bevölkerung sich bei den Wahlen von 1990 so eindeutig gegen die Generäle gewandt hatte.

Damals hatte die NDL unter der bereits in Hausarrest gehaltenen Aung San Suu Kyi – die für ihre mutige Haltung den Friedensnobelpreis erhalten hat – 392 von 485 Sitzen für sich gewonnen. Anstatt aber das gewählte Parlament einzuberufen, hat der SLORC in diesem Jahr einen sogenannten „Nationalkonvent“ initiiert, der eine neue Verfassung für Birma entwerfen soll. Unter den 700 Mitgliedern des Konvents befinden sich nur eine Handvoll der gewählten Abgeordneten, mehr als 600 Delegierte wurden vom Militär handverlesen, aus „den Arbeitern“, „den Bauern“, „der Intelligenzija“ und anderen Gruppen.

Am 17. September hat der SLORC die beiden wichtigsten Oppositionsparteien scharf kritisiert, weil sie sich gegen die Forderung der Junta gewandt hatten, daß die neue Verfassung eine Beteiligung an „der nationalen Führunsrolle des Staates“ für die Armee festschreiben solle. Zudem soll die Armee „das Recht zur Übernahme der Macht im Staate“ in Notfällen erhalten. Mit anderen Worten: In Zukunft ist jeder Putsch verfassungsmäßig. Der Konvent ist bis zum 17. Januar vertagt worden. Wenn er wieder zusammentritt, wird erwartet, daß die beiden Oppositionsparteien dem Druck der Junta nachgegeben haben, sagte jüngst ein Diplomat in Rangoon. „Andernfalls gibt es noch mehr Verhaftungen.“ Und fuhr fort: „In den Straßen von Rangoon und Mandalay sieht man wenig Soldaten, aber nicht, weil es keine Opposition gibt. Die Repression hat ein solches Maß erreicht, daß sie nicht mehr demonstrativ in der Straße präsent sein muß. Die Bevölkerung weiß, was sie erwartet, wenn sie protestiert, und so halten die meisten still. Birma folgt dem chinesischen Vorbild. Das heißt: Öffnung des Marktes – ja. Politischer Dissens – nein.“