Platzt die Renault-Volvo-Fusion?

Schwedischer Autokonzern verschiebt die entscheidende Aktionärsversammlung / Schwedische Fusionskritiker fragen, ob der Preis für mehr Marktmacht nicht zu hoch ist  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Die scheinbar schon perfekte Fusion der beiden Autokonzerne Volvo und Renault scheint ernsthaft gefährdet. Die Volvo-Geschäftsleitung sagte gestern die entscheidende Aktionärsversammlung ab. Die Abstimmung über die Fusion wurde vom 9. November auf den 7. Dezember verschoben. Nachdem auch mehrere potente Aktieneigentümer, wie Wertpapierfonds und Versicherungen, angekündigt hatten, in der kommenden Woche gegen die Fusion stimmen zu wollen, blieb Volvo nur der Griff zur Notbremse: anders hätte es eine klare Nein-Mehrheit gegeben. Im verbleibenden Monat soll laut Volvo mit Renault über einige Fragen „nachverhandelt“ werden. Dieses Ansinnen wurde gestern allerdings von Renault als überflüssig zurückgewiesen.

Knackpunkt der Fusion ist für die schwedischen Aktionäre die Tatsache, daß der Zusammenschluß bedeuten würde, daß Volvo Teil des Staatsunternehmens Renault wird, bei dem darüber hinaus die Regierung in Paris über Vorzugsaktien mit besonderem Stimmrecht einen beherrschenden Einfluß hätte. Eine solche „Sozialisierung“ des schwedischen Vorzeigekonzerns unter der Flagge der Trikolore erscheint auch der Regierung in Stockholm unerträglich: Ist sie doch selbst gerade dabei, in großem Umfang Staatsunternehmen zu privatisieren. Zwar hat die französische Regierung angekündigt, Renault werde privatisiert, möglicherweise zum Ende des kommenden Jahres. Doch mehr als eine Willenserklärung ist dies nicht.

Die Regierung in Paris hat sich darauf festgelegt, daß die Fusion mit Volvo die Voraussetzung für eine Privatisierung von Renault sei. Die Eigentümer mehrerer entscheidender Aktienpakete bei Volvo wollen nun einer Fusion erst dann zustimmen, wenn Renault tatsächlich privatisiert ist. Was andererseits ihren eigenen Interessen zuwiderlaufen würde, da der angeschlagene Volvo-Konzern dringend frisches Kapital braucht. Wie Volvo und Renault aus diesem Dilemma herauskommen wollen, erscheint unklar. Am wahrscheinlichsten dürfte viel Psychologie und Kosmetik über angebliche „Präzisierungen“ sein, die verdecken, daß der schwedische Einfluß über Volvo tatsächlich ein für allemal der Vergangenheit angehört.

Daß die schwedischen Arbeitsplätze so oder so in immer schnellerem Takt abgebaut werden, ist die große Sorge in der Volvo-Belegschaft. Zwar hatte der Gewerkschaftsdachverband LO die Fusionspläne begrüßt. Doch befindet man sich damit aber in deutlichem Kontrast zur Basis. Hier wird vermutlich zu Recht gefürchtet, daß die vorgesehene koordinierte Entwicklungsarbeit und Produktion gemeinsamer Autokomponenten eindeutig zu Lasten des Fabrikstandorts Schweden gehen wird.

Einen Vorgeschmack gab es schon letzte Woche: Renault kippte eine Absichtserklärung mit Volvo, deren neu entwickelten Pkw-Motor in die eigene neue Modellreihe zu übernehmen.

Von der für den 1. Januar 1994 vorgesehenen Fusion versprechen sich beide Unternehmen Einsparungen von über zehn Milliarden Mark bis zum Jahre 2000. Bei einem gesammelten derzeitigen Umsatz beider Konzerne von 65 Milliarden DM ein erheblicher Konkurrenzvorteil auf dem heftig kriselnden Pkw-Markt.

Der nach Volkswagen dann zweitgrößte Produzent von Personenautos in Europa könnte – so die Rechnung – nicht nur auf dem Markt der Lieferanten konzertiert die Einkaufspreise pressen, sondern auch bei teuren Neuentwicklungen und durch Einsatz austauschbarer Teile für die Modellreihen beider Marken. Zu den Rationalisierungsgewinnen soll auch ein kräftiger Arbeitsplatzabbau gehören. Zwar hält man sich in Paris und Göteborg mit Zahlen zurück, doch wird davon ausgegangen, daß ein Fünftel der 200.000 Angestellten mit dem Verlust des Arbeitsplatzes rechnen muß.

Während es Renault vor allem um das gute Image von Volvo geht, mit dem man sich auf dem US- amerikanischen Markt Vorteile verspricht, geht es Volvo mittelfristig ums nackte Überleben. Die Autos der Nobelmarke sind wegen des zu kleinen Heimatmarktes zu teuer. Auf den Exportmärkten wiederum kann kein Händler vom Volvo-Verkauf leben. Die Schwedenautos laufen so am Rande mit und sind zu minimalen Marktanteilen verurteilt. Eine gemeinsame Volvo-Renault-Händlerkette soll dies ändern.

Neues Kapital und größere Marktmacht bekommt Volvo natürlich nicht umsonst. Ob der jetzige Preis, nämlich der Verlust der Eigenständigkeit, nicht zu groß sei, ist die eigentliche Frage der schwedischen Kritiker. Daß der Firmensitz auch gleich nach Paris verlegt wird, ist mehr als Symbolik. Nach der Fusion des Asea-Konzerns mit der schweizerischen Brown-Boveri und Saabs Ehe mit General- Motors ist dies nun die dritte Fusion, in der ein einst stolzer Schweden-Konzern die Selbständigkeit verliert.