„Hafenerweiterung nicht nötig“

■ HHLA-Mitarbeiter: Altenwerder für Containerverkehr auch in Zukunft überflüssig / Genug Kapazität im Hafengebiet Von Uli Exner und Florian Marten

Altenwerder wird für den Containerumschlag Hamburgs nicht gebraucht. Investitionen in neue Liegeflächen für Großcontainerschiffe und enorme Flächenreserven für die Containerlagerung und -stapelung ermöglichen die von der Hafenwirtschaft geforderte Verdoppelung der Containerumschlag-Kapazitäten auch im bisherigen Hafengebiet.

In diesen ebenso schlichten wie brisanten Feststellungen gipfelt das Dossier eines Mitarbeiters des stadteigenen Hafenumschlagriesen Hamburger Hafen- und Lagerhaus AG (HHLA). Eine Position, die im krassen Gegensatz zur offiziellen Linie der HHLA steht. Die Hafenerweiterung in Altenwerder wird seit 1989 von HHLA-Vorstandschef Peter Dietrich als lebensnotwendig und unverzichtbar bezeichnet. Grund genug für SPD-Verhandlungsführer Henning Voscherau, die Hafenerweiterung zu einem zentralen „Essential“ für die Koalitionsverhandlungen zu machen.

Ein politischer Eckpunkt, der nach Auskunft des taz-Informanten (dessen Identität und Sachaussagen die taz gründlich geprüft hat) HHLA-intern durchaus umstritten ist. Eine öffentliche Diskussion über seine „starken Zweifel, daß Altenwerder überhaupt benötigt wird“ ist allerdings bei der zuständigen Behörde unerwünscht. Das Amt für Strom- und Hafenbau hüllte sich bis gestern in Schweigen: Kein Kommentar, solange die taz Papier samt Identität des Informanten nicht preisgebe, hieß es aus der Behörde.

Kein Wunder, denn ins amtliche Hafenbild passen die Fakten des Dossiers überhaupt nicht. Danach sind die beiden Hauptargumente der Hafenwirtschaft, nur mit Altenwerder könnten a) die für den Containerumschlag nötigen Flächen und b) die für die Groß-Containerschiffe nötigen seetiefen Liegeplätze in ausreichender Zahl geschaffen werden, schlichtweg falsch.

In der Frage der Liegeplätze würde Altenwerder mit drei (offizielle HHLA-Angabe vier) Plätzen nur eine geringe Entlastung geben. Mehr noch, bei den bestehenden Containerterminals würden heute bereits Investitionen getätigt, die zu einer Verdopplung von seetiefen Liegeplätzen für Großcontainerschiffe bis 1995 führen werden, heißt es in dem Dossier.

Am HHLA-eigenen Burchardkai gibt es heute neun Liegeplätze. Fünf davon mit Wassertiefen von mehr als 12 Metern, die damit für die Containerriesen der neuen Schiffsgeneration gerüstet sind. Nach 1995 soll es nach HHLA-Planungen am Burchardkai 10 Liegeplätze geben. Alle, laut Dossier, mit 15 Metern Wassertiefe. Nach offiziellen HHLA-Angaben sind dann nur drei so tief.

Auch der zweitgrößte Umschlagbetrieb „Eurokai“ ist derzeit dabei, die Zahl seiner Liegeplätze zu verdoppeln und hat mit dem von der HHLA erworbenen Diestelkai weitere Reserveflächen. Immer noch zu wenig für einen zukunftssicheren Hafen? Wohl kaum, denn die Auslastung der Liegeplätze liegt heute derzeit unter 50 Prozent, was laut Dossier „weitere Reserven bedeutet.“ Nach Angaben der HHLA sind dagegen 45 Prozent „die maximal nutzbare Zeit“ eines Containerliegeplatzes.

Unbestritten dagegen die Reserveflächen für Container-Stellplätze am Burchardkai, mit einer Million Containereinheiten (=TEU; das sind 40 Prozent des Gesamtumschlags) mit Abstand größter Containerumschlagplatz des Hamburger Hafens. Durch den bereits erfolgten oder schon beschlossenen Abriß nicht mehr benötigter Stückgut-Packhallen, Verlagerungen von Leercontainern und einer modernen Stapeltechnik, die Container auf bis zu fünf (gegenwärtig zwei) Ebenen stapelt, „hat der Burchardkai“, so das Fazit des HHLA-Mitarbeiters, „Kapazitätsreserven für etwa eine Verdopplung der Containerstellplätze“.

Damit nicht genug: Nach Informationen der taz werden in Kürze 80 Hektar Fläche direkt neben dem Burchardkai, die bislang an die BP-AG vermietet waren, an die Stadt zurückgegeben. Fast genausoviel, wie in Altenwerder für das Containerterminal vorgesehen sind. Nachschlag gefällig? Es gibt reichlich.

„Eurokai“ zum Beispiel baut das ehemalige Gelände eines Holzimporteurs zu einem Containerumschlagsbetrieb aus. Folge einer Verdopplung der Container-Kapazität von 450.000 auf 900.000 TEU. Und auch die HHLA-Tochter „Unikai“, bisher 200.000 TEU, hat noch Reserven. Für 100.000 TEU, sagt die HHLA, für 200.000 TEU, versichert ihr Mitarbeiter.

Weitere Möglichkeiten, eine Hafenerweiterung überflüssig zu machen, erwähnt das Dossier dabei noch nicht einmal. So könnten Leer-Container vom Hafengebiet ins Gelände des riesigen und auf Dauer nicht ausgelasteten Güterbahnhofs Maschen ausgelagert werden. Von dort könnten sie entweder direkt per Bahn weitertransportiert oder, in umgekehrter Richtung, „just in time“ per Schienenshuttle an die Umschlagkais gebracht werden.

Der HHLA-Mitarbeiter resümiert: „Nicht der Bau von Altenwerder, sondern die Restrukturierung von alten Hafenteilen wäre nötig. Dies müßte in einem Hafenstrukturplan politisch vorgesehen werden. Sicher wäre damit auch eine Entlastung des Hamburger Haushalts im Vergleich zum Bau von Altenwerder verbunden.“

Hat der HHLA-Mitarbeiter richtig gerechnet, dürften sich Hafenwirtschaft und Bürgermeister getrost von ihrem „Essential“ Hafenerweiterung trennen. Denn die vom Unternehmensverband Hafen Hamburg geforderten Umschlagskapazitäten von über vier Millionen TEU könnten locker ohne Altenwerder erreicht werden. Nach Aussagen des Dossiers bietet schon die heutige Hafenfläche Platz für bis zu 5 Mio TEU, wobei das BP-Gelände und Maschen noch nicht einmal berücksichtigt sind.

Gute Chancen also für die anstehenden Prozesse um die Planfeststellung für Altenwerder. Denn vor Gericht dürfte der Punkt Container-Kapazität des Hafens eine zentrale Rolle spielen: Ohne Bedarfsnachweis hat das Projekt Altenwerder keine Chance. ÖTV-Boß Rolf Fritsch, bislang vehementer Befürworter der Hafenerweiterung: „Es wäre fatal, wenn diese Aussagen sich als richtig erweisen sollten. Dann müßten wir unsere Position noch einmal überprüfen.“

Es wäre an der Zeit. Denn eine weitere Aussage aus dem Dossier müßte jedem Gewerkschafter die Haare zu Berge stehen lassen. „Altenwerder, falls gebaut, wird ein weitgehend automatisierter Betrieb (...) werden; in der Summe werden dann nicht mehr Arbeitnehmer im Containerumschlag im Hamburger Hafen beschäftigt sein als heute, sondern eher weniger.“

Die HHLA wollte gestern zu dem Papier keinen Kommentar abgeben. Vorstandschef Dietrich befinde sich zur Zeit auf Reisen. Nur Fragen zur Sache wurden schriftlich beantwortet. Tendenz, wie immer: Die Hafenerweiterung ist unumgänglich.