: Einhändig Brot schneiden
■ Was Medizinische Fachberufe tun für ihr Geld
Schon mal versucht, mit einer Hand ein Brötchen aufzuschneiden? Wie gut, daß ErgotherapeutInnen ein Brettchen mit eingebautem Brötchenaufschlitzer erfunden haben. Für Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, ist dieses Spezialbrettchen ein kleiner Schritt in Richtung Selbstständigkeit. Gestern konnten auch gesunde Menschen das „Einhandtraining“ ausprobieren. Auf dem Marktplatz präsentierten sich medizinische Fachberufe verschiedener Sparten mit einem verzwickten Rollstuhlparcour, Übungen der Rückenschule, Kunsttherapieangeboten und Informationen.
„Aus medizinischen Hilfsberufen sind längst Fachberufe geworden“, erläutert die Medizinische Bademeisterin und Lymphtherapeutin Frauke Seifert-Weber. Sie arbeiten zwar auf ärztliche Anordnung, doch sie erstellen den Theraphieplan und arbeiten weitgehend eigenständig. „Aber trotzdem werden wir nur als Mullbinde gesehen“, ärgert sich Gabriele Hilt, Logopädin. Auch die Kunsttherapeutinnen am Infostand schimpfen: „Unser Beruf taucht noch nicht mal in den Angestellten-Tarifvereinbarungenauf.“
Die meisten anderen medizinischen Fachberufe sind zwar tariflich geregelt, aber heute gibt es nicht mehr Geld als vor 20 Jahren. Egal ob ErgotherapeutIn, OrthopistIn, KrankengymnastIn, LogopädIn, Medizinisch Technische AssistentIn, DiätassistentIn, MasseurIn oder ApothekenhelferIn, alle ArbeitnehmerInnen kommen höchstens auf einen Bruttolohn von 2.600 Mark.
Mit Unterstützung der ÖTV fordern sie die umgehende Aufnahme von Tarifverhandlungen zu einem neuen Tarifvertrag mit höheren Anfangsgehältern, bessere Aufstiegsmöglichkeiten, bezahlte Fortbildungen, angemessene Ausbildungsvergütungen und die Anerkennung als medizinische Fachberufe. Der Zeitpunkt für Lohnverhandlungen sei zwar ungünstig, gibt Marita Rosenow von der ÖTV zu, doch man müsse eine strukturelle Veränderung des Berufsstandes erreichen.
Kostenaufwendige Fortbildungen müssen trotz geringen Lohns aus eigener Tasche gezahlt werden: „Ich muß im Monat 500 Mark sparen, damit ich eine Feldenkrais-Therapie-Ausbildung machen kann. Danach verdiene ich aber auch nicht mehr“, klagte eine Krankengymnastin im Gespräch mit einer Passantin. Schon die schulische Ausbildung kostet zwischen 10.000 und 20.000 Mark.
Wer nach einem Schlaganfall schlecht versorgt wird, kommt mitunter gar nicht mehr auf die Beine. Je früher die Therapie einsetzt, umso geringer sind eventuelle Folgekosten. In die medizinischen Fachberufe wäre also nicht umsonst investiert. Jemand der nicht versorgt wird, muß unter Umständen direkt aus dem Krankenhaus ins Pflegeheim verlegt werden.
Vivianne Agena
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