Ein scharfer Blick durch die Fingerspitzen

■ Laufende Kaffeekännchen u.a. Designkreaturen von Matteo Thun in der Securitas-Galerie / Der Meister im Gespräch

Kaum jemand wundert sich heute noch, wenn der Teekessel einen satten Dominant-Sept- Akkord durch seine drei kleinen Schornsteine bläst, oder wenn dem Kaffeekännchen Beine, Arme und bunte Ohren wachsen. Die Neue Possierlichkeit im Produktdesign verdanken wir v.a. dem Spieltrieb der italienischer Designergruppe „Memphis“, insbesondere Matteo Thun. Seine folgenreichen „Walking Coffeepots“ aus den 80er Jahren, aber auch die gemäßigten Brillen- und Besteck-Kreationen jüngeren Datums sind zur Zeit in einem lobenswerten, kleinen Querschnitt in der Securitas- Galerie zu besichtigen. Zur Eröffnung reiste der Meister der Verwandlung persönlich an und gab statt Antworten Fragen und Rätsel.

taz: Gehen Sie eigentlich manchmal im Kaufhaus in die Lampen-oder Möbelabteilung?

Matteo Thun:Ich bin sehr gerne und sehr oft in Kaufhäusern. Nicht nur der Arbeit wegen, sondern auch aus Neugierde. Man spricht ja nicht nur zufällig in Japan vom Kaufhaus als modernem Museum.

In unseren Kaufhäusern begegnen einem zur Zeit ja wahre Heerscharen von „Walking Coffeepots“, also Nachkommen des italienischen Designs vom Anfang der 80er Jahre. Hat sich Ihr spielerischer Umgang mit Vasen, Kannen und Tassen auf dem Markt also erfolgreich

Der Meister im Spiegelbild seiner eigenen Genialität: Matteo ThunFoto: Jörg Oberheide

durchgesetzt?

Ich glaube, die von Ihnen angesprochene Kultur der Plagiate ist gottseidank überwunden und abgeschlossen.

Aber ein Besuch bei Ikea reicht doch, um diese Überschwemmung von figürlichem

und verspieltem Design heute zu erleben.

Das gilt nur ganz begrenzt. Natürlich wird sich die Kultur der Plagiate nicht völlig überwinden lassen. Aber wir sind durchaus - und das ist der positive Teil der Rezession — mit einer neuen Rückbesinnung auf Essentielles konfrontiert, und das stimmt mich sehr optimistisch.

Das Essentielle spielt ja auch in einer neuen Bürostuhl-Serie eine Rolle, die sie für Martin Stoll entworfen haben. Dazu haben Sie erklärt: „Das Thema ist nicht der Büroalltag, sondern die Geheimnisse des Lebens“ — ist ein einfacher Bürostuhl damit nicht heillos überfrachtet?

Nein, in keiner Weise. Ich denke, wenn man einen Stuhl entwirft — und das gehört zum Schwersten, was man als Kreativer entwickeln kann — dann muß man sich zuerst über den Unterschied zwischen Arbeit und Nichtarbeit klarwerden.

hierhin den Mann im Spiegel

Und wo ist da der Bezug zu den „Geheimnissen des Lebens"?

Die Geheimnisse des Lebens haben primär damit zu tun, wie wir Sinn und Inhalte in den nächsten Jahren definieren. Das heißt: Wie sieht die Vision des modernen Arbeitsplatzes aus? Wie entwickelt sich das Leben generell? Es ist eine sehr komplexe Aussage, wenn Sie heute einen Bürostuhl für das nächste Jahrzehnt entwerfen.

Das klingt ja alles sehr verbindlich. Ich hatte eigentlich bisher das Gefühl, daß Matteo- Thun-Objekte nicht für eine Epoche gemacht sind, sondern vor allem die Fähigkeit zur Verwandlung, zur Mutation besitzen, um immer wieder neue Geschichten zu erzählen.

Die Wandlungsfähigkeit sollte primär dem Endverbaucher dienen, der eine subjektive Einstiegsebene bekommen sollte. Das heißt: Jeder soll seine Geschichte aus einem Objekt lesen

könne, das Objekt zum sprechen bringen. Das sind die multisensorielle Qualitäten, von denen man sehr oft spricht, aber sie werden nur in den seltesten Fällen auch eingelöst.

Heißt das, daß sich die Design-Oberflächen künftig nicht mehr so rasch verwandeln sollen?

Ich glaube, es geht vielmehr um eine Schlankheitskur für die Produkte. Es geht vor allem um eine Komponenten-Reduzierung. Zuerst muß man sich mit dfem Prorblem auf kultureller Ebene beschäftigen, um Klarheit darüber zu bekommen: Was soll eine Sonnenbrille? Was ist das Arbeiten am Computer-Arbeitsplatz und welchen Stuhl brauche ich dafür?

Über den Überfluß an Produkten und den Zierrat im gegenwärtigen Design haben Sie gesagt: „Ein Kollaps im System der Objekte steht bevor, was wir brauchen, sind neue „Qualitäten“ — hätten Sie denn welche parat?

Das ist die sensorielle Qualität, und zwar die multisensorielle Ästhetik. Unsere Wahrnehmungsebenen haben immer mehr mit der Haptik, mit den Fingerspitzen zu tun. Die Fingerspitzen sind eng verbunden mit dem Sehen. Man sieht mit den Fingerspitzen. Man riecht, man hört. Und all diese Sinne müssen durch neue Kreationen angesprochen werden. Davon bin ich überzeugt. Fragen: Thomas Wolff

Matteo Thuns Arbeiten werden unter dem Titel „Form Follows Function — Function Follwos Vision — Vision Follows Reality" inder Securitas-Galerie gezeigt, Am Wall 121, bis 30.12., montags bis freitags zwischen 8 und 18 Uhr