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Alles Gute kommt von oben Von Kirsten Niemann

„In unserem Treppenhaus riecht es nach etwas Totem, finden Sie nicht auch?“ So empfing mich gestern meine Nachbarin im Hausflur, und mir wurde schlecht. Nicht etwa, weil sie vollkommen recht hatte, sondern weil der Gestank sofort, gelinde gesagt, schockierende Erinnerungen in mir heraufbeschwor. Sind Sie vielleicht gerade beim Frühstücken? Dann legen Sie ihr Brötchen jetzt am besten erst mal an die Seite. Die nun folgende Geschichte handelt nämlich von einer verstopften Rohrleitung:

Stellen Sie sich vor, Sie kommen von der Arbeit nach Hause, sind müde, schließen die Wohnungstür auf und stehen in einer Güllepfütze. „Scheiße“, denke ich und begreife zunächst gar nicht, wie recht ich habe und daß ich die Situation überhaupt nicht treffender hätte beschreiben können. Ein Blick ins Badezimmer erklärt alles: Man hört deutlich die Betätigung einer Klospülung vom oberen Stockwerk, und was anschließend aus der Toilette dringt, ist neben einem gurgelnden Geräusch vermutlich genau das, was oben gerade beseitigt werden sollte. Das Badezimmer sieht aus, als wären die da oben den ganzen Tag lang pausenlos aufs Klo gegangen. Aber nicht nur aus dem Klosett rülpst etwas, sondern auch aus dem Waschbecken und der Spüle in der Küche. Ich meine, etwas unternehmen zu müssen, und sammle einige Zigarettenkippen auf, die auf dem Fußboden treiben. Das bringt rein gar nichts, aber ich gebe noch nicht auf, sondern schütte ein wenig „Abflußfrei“ ins Waschbecken. Was das eigentlich bezwecken soll, weiß ich selber auch nicht so recht. Es reicht. Ich gehe hoch. „Hören Sie mal, da schwimmen Ihre Zigarettenkippen in meiner Toilette, und aus dem Abfluß in der Küche kommt Ihr Klopapier“, beklage ich mich bei meinem Nachbarn. Der hat eine plausible Erklärung: „Das müssen die Kinder gewesen sein, wir werfen doch keine Kippen in den Abfluß!“ Mittlerweile haben sich noch weitere Nachbarn eingefunden, die sich einen neugierigen Blick in mein Badezimmer nicht verkneifen können. „Da muß ein Experte ran“, weiß einer, der unschuldig ist, weil er unter mir wohnt. Also hole ich mir professionelle Hilfe.

„Prompte Erledigung bei Tag und bei Nacht“ verspricht eine Anzeige im Telefonbuch. Nach gut zwei Stunden kommt der Sanitär- Notdienst. Es gibt Leute, die sind um ihren Beruf nicht zu beneiden. Der Klempner und ich, wir tun uns gegenseitig leid. Stundenlang werkelt er an dem verstopften Abflußrohr herum. Um mich ein wenig aufzuheitern, trinke ich einige Biere – der Klempner macht mit. Endlich ist er fertig, nicht nur mit seiner Arbeit, sondern auch sonst. Er schreibt die Rechnung; da kommt einiges zusammen. Es wird genau notiert, was er alles aus meinem Rohr herausgefischt hat. Sachen wie Zigarettenkippen, Intimtextilien (Klempner-Fachjargon für Tampons und Damenbinden), Kohlrouladen und Klößchen sind für mich seitdem eindeutig negativ besetzt. Und es wird teuer, aber Geld spielt für mich in dem Augenblick keine Rolle mehr. Den Scheck stelle ich gerne aus.

Schlimm ist vielmehr der Gestank nach was Totem, der nun in meinem Kopf gespeichert und jeder Zeit abrufbereit ist. Es ist spät, und ich bin hundemüde. Der Klempner ist heilfroh, daß er nun zu dem nächsten Kunden fahren darf, der hat nämlich nur einen Wasserrohrbruch.

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