Ein Landrat außer Rand und Band

Nach der fristlosen Kündigung zweier Ärzte: Der Mindelheimer Landrat Haisch versucht BügerInnen unter Druck zu setzen / Es regt sich bislang unbekannter Widerstand  ■ Aus Mindelheim Klaus Wittmann

1993 ist nicht sein Jahr. Landrat Hermann Haisch, der „Mr. 90 Prozent“ der Unterallgäuer CSU, sieht sich zum dritten Mal in diesem Jahr überregional in den Schlagzeilen. War es zunächst seine Amigo-Reise mit dem Unterallgäuer Unternehmer Grob und dem bayerischen Ex-Ministerpräsidenten Max Streibl, so folgte wenig später seine unrühmliche Rolle beim Müll-Skandal seines Freundes Ludwig Gaum, der Berge von Müll illegal verbuddelte. Und jetzt auch noch dies: 1.233 Bürger von Mindelheim und umliegenden Gemeinden haben sich innerhalb weniger Tage in einer Unterschriftenliste gegen die fristlose Kündigung zweier Oberärzte ausgesprochen, die der Landrat mit Störung des Betriebsfriedens begründete.

Die beiden Oberärzte hatten mehrmals auf angebliche Fehlleistungen des Chefarzts der Chirurgie aufmerksam gemacht (die taz berichtete). Als sie dann die vom Landrat ausdrücklich angeforderte Auflistung mit 29 ärztlichen Fehlleistungen vorlegten, wurde ihnen fristlos gekündigt. Die Bevölkerung reagierte mit bislang in dieser Gegend Bayerns nicht gekanntem Widerstand. Nachdem von der Landrat-freundlichen Lokalpresse reihenweise der Abdruck von Leserbriefen zufriedener Patienten verweigert wurde, entschlossen sich einige Bürger zu einer spontanen Unterschriftensammlung. Eine lückenlose Aufklärung der umstrittenen Kündigung wurde gefordert, aus den zunächst angepeilten 40 bis 50 Unterschriften wurden in knapp zwei Wochen über 1.200. Einzelhandelsgeschäfte, Apotheken und Arztpraxen legten die Listen aus. Sogar bei der Stadtkapelle, wo der Landrat aktives Mitglied ist, trugen sich serienweise Gegner der Kündigung ein.

Patienten, die den beiden Chirurgen viel zu verdanken haben, meldeten sich zu Wort, unter ihnen auch das Ehepaar Seifert. Doch was Ursula Seifert daraufhin widerfuhr, hätte sie nie für möglich gehalten. „Der Landrat hat bei mir daheim angerufen und mich regelrecht niedergebrüllt“, berichtet die junge Frau. Eine dreiviertel Stunde lang hätte er sie unter Druck gesetzt wegen der Unterschriftenliste. „Er hat dann gesagt, auch wenn ich als kleine Bürgerin so etwas nicht mehr überblicken kann, sei ich doch für das verantwortlich, was geschieht. Falls jetzt etwas passiert im Krankenhaus, wenn ein Patient zu Schaden kommt, dann zieht er mich, meinen Namen, in die Verantwortung.“ Helmut Seifert sagt, seine Frau sei bei dem Gespräch, das er wegen der Lautstärke des Landrats mithören konnte, relativ gefaßt gewesen. Doch kaum hätte Dr. Haisch aufgelegt, sei sie zusammengebrochen. Die Hausärzte von Frau Seifert, von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbunden, bestätigen: Eine Stunde lang hätte die Frau beruhigt werden müssen, so fertig sei sie gewesen. „Wir haben ihr immer wieder gesagt, daß sie sich keine Sorgen machen müßte. Sie könne nicht für die Mißstände am Krankenhaus verantwortlich gemacht werden“, berichtet eine behandelnde Ärztin.

Von einer Anzeige wegen Nötigung, so Helmut Seifert, habe man nach einigem Überlegen abgesehen. „Diesen Druck hätten wir nicht durchgehalten. Wir sind doch einfache Leute und wollten niemanden angreifen, weder den Chefarzt noch den Landrat.“ Nach dem Anruf des Landrats sei sie bereit gewesen, die Unterschriftenaktion abzubrechen, aber das sei längst nicht mehr in ihrer Macht gestanden. „Das hat sich wie eine Lawine ausgebreitet.“

Landrat Haisch wollte zunächst weder dazu noch zu Informationen, er habe sich noch an weitere Unterzeichner der Unterschriftenliste gewandt, Stellung nehmen. Nach langem Drängen schließlich gab er an, er habe zu Frau Seifert lediglich gesagt: „Bei der Demokratie gehört auch Verantwortung mit dazu. War ihnen diese Verantwortung bewußt, als sie diese Liste inszenierten?“

Bei der Unterschriftenübergabe im Landratsamt ließ sich Haisch von seinem geschäftsführenden Beamten vertreten. Zur Sache könne er keine Angaben machen, da ein Arbeitsgerichtsverfahren anhängig sei. Für die Kündigung seien allein verhaltensbedingte, keine fachlichen Gründe, ausschlaggebend gewesen.

Die Überbringer der Unterschriftenliste begnügten sich damit nicht. Sie blieben so lange, bis der Landrat doch noch selbst kam. Von Ursula Seifert noch einmal auf das Telefonat angesprochen, meinte er: „Ich bedauere, daß bei diesem Gespräch die Medien anwesend sind. Aber bitte, wenn es schon so ist. Ich nehme alles zurück und entschuldige mich förmlich bei ihnen.“ Er würde aber, nachdem auch er sich durch den öffentlichen Wirbel und die Vorwürfe verletzt fühle, ebenso eine Entschuldigung erwarten. Die freilich blieb aus. Statt dessen forderte den Landrat eine 73jährige Mindelheimerin auf, die beiden Oberärzte wieder einzustellen. Das allerdings lehnte der Landkreis-Chef brüsk ab: „Die beiden kommen nicht mehr.“