Nicht überstürzt zum Aids-Test

■ Kritik an Aufruf von Seehofer und Gesundheitspolitikern

Berlin (taz) – Nachdem die Bevölkerung von täglich neuen Meldungen über mögliche HIV-Verseuchung von Blutprodukten zunehmend verunsichert ist, haben Politiker quer durch alle Lager gestern eine neue Losung ausgegeben: Alle PatientInnen, die seit Beginn der 80er Jahre mit Blutprodukten behandelt wurden, wurden zu einem freiwilligen Aids-Test aufgerufen. Diesen Rat erteilten Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU), die Gesundheitsexperten von CDU/CSU, SPD und FDP, der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, sowie das niedersächsische Sozialministerium. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Klaus Kirschner, relativierte den pauschal gehaltenen Test-Aufruf immerhin dahingehend, daß dies nur bei einem begründeten Verdacht auf HIV-Infektion erfolgen solle.

Es handle sich um „ein Angebot“ an die PatientInnen, stellte der Sprecher des niedersächsischen Sozialministeriums, Thomas Steg, gegenüber der taz klar. PatientInnen sollten keinesfalls „überstürzt und blindlings“ zum Test gehen, sondern zuvor in jedem Fall eine Beratungsstelle der Gesundheitsämter oder der Aids- Hilfe aufsuchen. In einem Beratungsgespräch müsse das individuelle Infektionsrisiko sorgfältig abgewogen werden, die Entscheidung müsse dann jeder für sich treffen.

Auch Juergen Vetter von der Berliner Aids-Hilfe warnte gestern davor, Hals über Kopf einen Aids- Test machen zu lassen. „Es kann wichtig sein zu wissen, woran man ist. Aber die soziale und psychische Situation eines jeden muß zuvor in einem Beratungsgespräch abgewogen werden.“ Bevor man zum Aids-Test geht, sollte man „sehr genau über die möglichen Folgen nachdenken“. Schließlich kann ein positives Testergebnis von einem Tag auf den anderen das ganze Leben umkrempeln. „Das ist eine große psychische Belastung, die der eine gut übersteht und an der ein anderer verzweifelt“, gibt Vetter zu bedenken. Auch die hessische Aids-Hilfe hat den „inflationären Aufruf“ zum HIV-Test kritisiert. Der Geschäftsführer der Aids-Hilfe, Georg Habs, bezeichnete es als „skandalös“, wie hier mit den Sorgen und Ängsten von Patienten umgegangen werde: „HIV-Tests sind keine Wisch-und- weg-Produkte und keine harmlosen Beruhigungsmittel für verunsicherte Patienten.“ win