Am Lebensnerv hantiert

■ Egon Bahr und Erhard Eppler rechtfertigten vor der Enquete-Kommission die Ostpolitik der Sozialdemokraten

Berlin (taz) – Egon Bahr sprach von Dialektik, Erhard Eppler vom Versuch, einen Preis einzufordern. Gestern verteidigten die beiden Architekten der SPD-Ostpolitik vor der Enquete-Kommission des Bundestages im Berliner Reichstagsgebäude ihre früheren Strategien, die als „Wandel durch Annäherung“ oder „neue deutsche Ostpolitik“ nicht nur zu ihrer Zeit umstritten waren.

„Destabilisierende Absichten“, so Bahrs Dialektik, „waren nicht ohne stabilisierende Momente“ für das SED-Regime möglich. Dies hätte generell für Übereinkünfte zwischen Ost und West gegolten – egal, ob es um Waffen, Getreide oder bilaterale Verträge gegangen wäre. Naturgemäß seien dazu Verhandlungen zwischen den Regierungen nötig gewesen. „Nichts von alledem wäre mit einer Opposition erreichbar gewesen, zumal es die noch gar nicht gab.“ Von einzelnen Personen abgesehen, hätte sich eine Dissidentenbewegung erst nach 1975, nach dem Abkommen von Helsinki, entwickelt. Nach der Niederschlagung der Aufstände 1953 in der DDR und 1956 in Ungarn sowie dem Einmarsch in Prag 1968 hätte die Sozialdemokratie als Lehre gezogen: „Veränderungen gehen langsam und nur von oben.“ Hingegen alles, „was von unten kam“, sei unterdrückt worden, „kostete Blut“. Bahr räumte aber ein, sich im Fall der Solidarność geirrt, sie „nicht ernst genug genommen“ zu haben. Die polnische Entwicklung sei bis zuletzt eine Ausnahme im damaligen Ostblock gewesen.

Egon Bahr gestand ein, die oppositionellen Gruppen in der DDR nur als Verbündete gesehen zu haben, „denen man Bewegungsspielraum verschaffen mußte, die möglichst nicht diskriminiert werden durften“.

Ähnlich rechtfertigte Erhard Eppler die Kontakte, welche die SPD nach dem Ende der sozialliberalen Koalition zur SED unterhielt. Durch die gemeinsamen Grundsatzgespräche „konnte niemals die Machtgrundlage der Bundesrepublik, wohl aber die der DDR verletzt werden“. Die kommunistischen Gesprächspartner hätten am „Lebensnerv ihres Staates“ hantiert, „dem Wahrheitsmonopol, auf das sich ihr Machtmonopol gründete“. Die SPD hätte den Preis für diese Gespräche, die 1987 in ein umstrittenes SPD-SED-Papier „Der Streit der Ideologien“ eingingen, deutlich formuliert: „Wer mit uns reden wollte und konnte, ohne Anspruch auf ein Wahrheitsmonopol, mußte dies früher oder später auch mit den eigenen Bürgern tun.“ Ziel sei gewesen, über eine Streitkultur zwischen den Systemen zu einer freien Diskussion innerhalb des kommunistischen Systems zu kommen.

Der Bündnis-Politiker Gerd Poppe mochte dem nicht folgen. Daß die Ost-Politik der SPD auf „Destabilisierung“ aus war, leuchtete ihm nicht ein. Warum, so der Bürgerrechtler, wurde dann den oppositionellen Gruppen in der DDR von der SPD der Stempel „destabilisierend“ und „friedensgefährdend“ aufgedrückt? Wolfgang Gast