„Der Bürger will seine Polizei sehen“

■ Der Zwang zur Fußstreife begeistert PolizistInnen nicht / Kriminalitätsserie, Teil 4

Oberkommissar Oswald Wosny schlängelt sich vorbei an Schuppen und rostigen Bettgestellen, klopft schließlich an die verzogene Tür eines Häuschens. „Ist Kurt da?“ Endlich öffnet ein Mann in Armeehose. „Der hat alle Delikte so gut wie durch, der wird nie wieder 'ne Plattform kriegen“, flüstert der Oberkommissar hinter vorgehaltener Hand. „Heinz hat Grippe“, sagt der in der Armeehose. Schon steht Wosny in dem ungelüfteten Zimmer. Heinz, ein ausgemergelter Mann, liegt tatsächlich eingemummelt auf dem Sofa. Schnell läßt der Oberkommissar seinen Blick durch die Wohnung schweifen — sonst niemand da. „Der Heinz“, flüstert er im Gehen, „der gewährt Unterschlupf für Dealer, bekommt dafür als Gegenleistung Alkohol“.

Der 53jährige Oberkommissar ist ein sogenannter Bezirksdienstbeamter. Er arbeitet im Revier Gröpelingen. Bislang saß er überwiegend ermittelnd hinter dem Schreibtisch; seit März muß er jeden Tag drei Stunden lang Streife gehen. Wie seine vier Kollegen bestreift er ein Gebiet mit 6.000 EinwohnerInnen. Wosny teilt sein Gebiet nördlich der Gröpelinger Heerstraße in Straßenzüge mit „gesunder Struktur“ und in welche mit „sozial geschädigter Struktur“. Es leben halt viel arbeitslose Menschen hier, sagt er.

„Ich hab' eine gute Einvernahme mit den Leuten.“ Ein kleiner Schwatz hier und dort — und schon weiß Wosny, ob zum Beispiel der Mann mit dem nicht- versicherten Lastwagen heute schon mal vorbeigekommen ist. Dem müßte er nämlich den Kraftfahrzeugschein abknöpfen. Schon wieder klopft Herr Wosny an eine Tür. „Herr H., sind Sie da?“. Herr H., schmächtig und zahnlos, ist da. Aus der Tür witscht auch ein Mischlingshund mit verformtem Leib. Ob Herr H. jetzt endlich mit dem Tier beim Arzt war? Ja, war er, „es wird aber nicht wieder“. Ein paar Tage darf der Hund noch leben. Die Leute in diesem ärmlichen

„Waren Sie mit Ihrem Hund denn auch beim Arzt?“Foto: Jörg Oberheide

Viertel hinterm Bahndamm haben viele Tiere, erzählt Wosny, aber manchmal vernachlässigen sie sie.

So gern er durch sein Revier geht — noch lieber würde Wosny jetzt wieder zu seinem Schreibtisch mit all den unerledigten „Vorgängen“ zurückkehren. Bis zu 190 sind es manchmal im Monat. Da muß er den Bremer Fahrer ausfindig machen, der in Kassel bei Rot über die Ampel gefahren ist. Dann wieder soll er Kontakt aufnehmen zu einem unterhaltssäumigen Vater und dessen finanzielle Verhältnisse fürs Gericht klären — was andere Behörden eben so alles wollen von der Polizei. Auch früher war er draußen im Stadtteil, aber nur zielstrebig, um „Informationen einzuholen“, nicht frei streifend. Einige Ordnungswidrigkeiten auf seinem Schreibtisch sind sogar schon verjährt — Rotlichtfahrer zum Beispiel können nur innerhalb eines Vierteljahres bestraft werden.

Ohnehin hält Wosny den Fußstreifen-Erlaß für eine Täuschung. „Der Bürger sieht einen

hierhin den Polizisten

auf Streife

Polizisten und denkt, die Welt ist wieder in Ordnung.“ Sie ist aber nicht in Ordnung, sagt Wosny. Kaum sei er um die Ecke, knackten die Jungs schon wieder Autos, verkauften Heroin und brächen Gartenhäuschen auf. Nur wenn man flächendeckend Schutzmänner vorzeige, könne eine Fußstreife präventiv wirken.

Doch der Chef der Schutzpolizei, Wilhelm Bode, hat kein Einsehen mit seinem Schutzpolizisten. Im März hat er für 152 ErmittlungsbeamtInnen eine täglich mindestens dreistündige Fußstreife (in Uniform) angeordnet. Entsprechend der Devise des Senators: „Der Bürger will seine Polizei auch sehen.“ Sicher, sagt Bode, Raub, Diebstahl und Mord kann man uniformiert nicht verhindern. Aber: „Wenn weite Bevölkerungskreise sich abends nicht mehr auf die Straße trauen, muß man diesem subjektiven Unsicherheitsgefühl entgegenwirken.“ Im Ostertorviertel, wo sich PolizeibeamtInnen mittlerweile recht häufig sehen lassen, hat man schon zahlreiche Dankschreiben eingeheimst.

Verzögerungen bei der Büroarbeit nimmt das Innenressort bewußt in Kauf. „Polizeibeamten sind nun mal so, daß sie jede strafbare Handlung mit jedem nur denkbaren Aufwand verfolgt sehen möchten“, sagt der Chef der Schutzpolizei. Man müsse eben Prioritäten setzen: Die Büroarbeit soll sich auf die „sozialschädlichen Delikte“ konzentrieren, wie etwa Diebstähle. „Kleinkram“ dagegen, etwa die Sachbeschädigung durch einen Angetrunkenen, müsse man erstmal ruhen lassen. „Das sind Delikte“, so Bode, „die die Justiz ohnehin häufig einstellt“.

Doch Oberkommissar Wosny nimmt ein jedes Delikt ernst: Er hat auch mal sämtliche gesprühten „Tags“ in seinem Bezirk pedantisch genau katalogisiert. Das machte Eindruck in der Szene, erzählt er stolz. In heller Panik hängte ein Sprayer einem Kumpel in der Innenstadt folgende Mitteilung an die Tür: „Vernichte deine Sprühsachen. Die Bullen in Gröpelingen sind voll erfolgreich.“

Christine Holch