Zum Lustigen Wildschwein, Vollpension

■ Shakespeares „Enrico IV“ auf Parmesaner Art: deftig, köstlich, vollmundig / Das „Teatro Due“ beim Shakespeare-Festival

Die Tapete zwischen Alltags- und Bühnenleben einzureißen: Dieses heroische Unternehmen, wie es im freien Straßen- und Volkstheater der 70er Pflicht war, hat auch die „Compagnia del Collettivo“ aus Parma inbrünstig betrieben. Noch heute, unter neuem Namen („Teatro Due“), kann die Truppe nicht von diesem köstlichen Spaß lassen.

Ihr „Enrico IV“, derzeit beim Shakespearefestival am Leibnizplatz zu erleben, ist praktisch die Verlängerung einer beliebigen Straßen-Cafeteria mit deren ureigensten Mitteln: Es wird palavert, gescherzt und gelitten und natürlich unheimlich lässig herumgehangen — stundenlang, wie im wahren Leben eben, daß es immer noch und wieder eine Herzensfreude ist.

So legt das „Teatro Due“ zwar größten Wert auf seinen Ursprünge als wildbewegte Agit- Prop-Truppe. Auch noch die „Heinrich IV“-Bearbeitung soll die Macht des Staates und die Ohnmacht des Volkes ins Bewußtsein der Theatergänger rücken. Die Szenen am Hofe Heinrichs aber, mit all ihren politischen Ränkespielen, werden letztlich recht knapp abgehandelt — von siebeneinhalb Stunden Originaltext bleibt gerade mal die Hälfte übrig — um dann umso ausgiebiger die Wirtshausszenen abzufeiern.

In der Commedia dell'Arte hat die Truppe denn auch ihre wahre Heimstatt gefunden, als „natürlichem Ort der satirisch-politischen Begegnung“, wie verlautet. Da ist natürlich auch Fellinis Geist nicht ferne. Wie die Halbstarken in „I Vitteloni“ ihr junges Leben lang dem Müßiggang frönen, geben sich hier Falstaff & Kumpane dem Leerlauf der Ereignisse hin.

In der Trattoria „Zum Wildschwein“ schwadronieren sie nach Herzenlust, überbieten sich an Prahlereien, raufen und saufen, dieweil Senora Quickly nicht nachläßt, Spaghetti und Vino aufzutischen. Der ganze Saal wird schließlich zur Spelunke. Die jungen Adeligen fordern die Damen im Parkett zum Tanz auf, die Musikbox orgelt Evergreens, Falstaff schäkert am Nachbartisch.

Selbst als der Gemütsriese stirbt, hat es so gar nichts Tragisches: Das Kneipenklavier klimpert „You must remember this“, und wir verlassen den Saal wie nach einem gelungenen Kneipenabend. Ohne Kater, aber auch ohne sonstige beunruhigende Nebenwirkungen. Thomas Wolff

Bis 7.11., jeweils 19.30 Uhr, im Theater am Leibnizplatz; am 7.11. um 11 Uhr kommt das „Teatro Due“ zum Matinee-Gespräch ins „Falstaff“