Die Mondbrille in Michelangelo Antonionis Filmen

■ Mode in „Blow Up“: Visuelle Zitate aus der Pop-art und der Raumfahrt

Daß Filme Modetrends aufgreifen, vorwegnehmen und auslösen, wird häufig erst aus einem sicheren zeitlichen Abstand klar. Filme sind nicht nur in punkto Mode Seismographen ihrer Zeit. Michelangelo Antonionis wohl populärster Film „Blow Up“ (1966) ist solch ein eindringliches Zeit- und Modeportrait der sechziger Jahre.

Alle Filme des italienischen Gegenwartsregisseurs thematisieren in ihrer Zeitbezogenheit die Veränderlichkeit und Hinfälligkeit der Gegenwart. Mode als ein höchst wandelbarer Ausdruck gesellschaftlicher Realität spielt deshalb bei Antonioni, der selbst größten Wert auf schlichte und modische Eleganz legte, eine große Rolle. In seinen frühen Filmen, wie beispielsweise in „Le Amiche“ (1955) dienten Modenschauen häufig als Kulissen für existentielle Auseinandersetzungen seiner Figuren. In „La Notte“ (1961) sieht man Jeanne Moreau im Designerkleid im Sand, extravagante Abendkleider und Tüll im Schwimmbassin, Modellkleider im Krankenhaus und Stöckelschuhe im Morast.

Mode, Kleider, Erotik und Identität sind bei Antonioni sich überlagernde Begriffe. So ist Antonionis 1966 erster im Ausland realisierter Film „Blow Up“ beispielsweise in einer Welt der Modeindustrie, Mannequins und Berufsfotografen angesiedelt. Als Mannequins verpflichtete Antonioni neben dem damaligen Topmodell Veruschka von Lehndorff weitere fünf Spitzenmannequins. Dieser zweite Film nach dem Farbexperiment „Deserto Rosso“ (1964) bringt ein neues Element in Antonionis Schaffen: Das Tempo, der Rausch und die Vitalität der Bewegung als Ausdruck einer sich radikal wandelnden Gesellschaft.

London, so erinnert sich Antonionis bevorzugter Drehbuchautor Tonino Guerra, war damals die „aufregendste und exotischste Stadt der Welt“. Es war die Zeit der Fotografen und berühmten Mannequins, der kurzen Röcke von Mary Quant, der ärmellosen Etuikleider und farbigen Feinstrumpfhosen, der Pop-Kultur und der Beatmusik, der Boutiquen in der Carnaby Street und den Farben Schwarz und Orange.

„Swinging London“ war das Zauberwort der sechziger Jahre und Ausdruck eines neuen, euphorisch hedonistischen Lebensgefühls in einer aus den Fugen geratenen und vitalen Stadt.

London war vor allem aber das Mode-Eldorado der Jugend. Teens und Twens bestimmten die Mode und das neue Schönheitsideal. Keine andere Mode hatte bis dahin so grellbunte und kontrastreiche Farben, geometrische Formenspiele und unkonventionelle Linien hervorgebracht und durchgesetzt, wie die der Sechziger. Die Fortsetzung auf Seite 27

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neue Mode präsentierte sich in futuristischen, utopistischen, aber auch nostalgischen Untertönen. Modedesigner wie André Courrège holten sich ihre Impulse für ihre modischen Innovationen aus der Kunst, der modernen Architektur, aber auch aus der Raumfahrt. Zum neuen Trend, einer Mixtur aus Op-art-Look und Weltraum-Look, waren neben Helm und Mondbrille vor allem glänzende Lackstiefel mit flachem Absatz ein absolutes Muß. Die Modeindustrie vermittelte und verkaufte ihrer jugendlichen Klientel mit ihren Artikeln auch gleich das dazu passende Lebensgefühl der „Swinging Sixties“. Gemeinsam mit Tonino Guerra studierte Antonioni fünf Monate lang eingehend den „London-Mod“ und ließ sich von der hektischen Atmosphäre der Stadt, den plakativen Farbreizen inspirieren.

In „Blow Up“ verarbeitete er diese Eindrücke und nutzte die Signalkraft der Modeszene, den Reiz der Oberflächen und deren grelle Ästhetik als Gestaltungsmittel für seine Bilder.

Wer erinnert sich nicht an die giftgrünen und grellroten Feinstrumpfhosen der beiden kichernden Teenagerinnen während ihrer ohrenbetäubenden und kindlich- erotischen Balgerei in einem Wust violetter Hintergrundfolie?

Oder an die maskenhaft geschminkten Models, die wie leblose Gliederpuppen vor Rauchglasscheiben stehen und auf Befehl des Fotografen ein skurriles, buntes Bewegungsballett initiieren, um dann für die Fotos wieder in Pose zu erstarren?

Antonioni legt regelrechte Farbspuren durch den gesamten Film, die die Netzhaut der Zuschauer und Zuschauerinnen irritieren und von der ohnehin durchschaubaren Kriminalgeschichte ablenken. So ließ er ganze Rasenflächen und Häuserzeilen nach seinen Vorstellungen einfärben. In „Blow Up“ treibt Antonioni ein subtiles Spiel mit der Wahrnehmung der Zuschauer – vermittelt durch seine dandyhafte Hauptfigur Thomas, einem jungen erfolgreichen Modefotografen, der seine Umwelt nur noch in Form von Abbildern begreift.

Durch die Gegenüberstellung der Schwarzweiß-Fotografie, mit der Thomas die Unmittelbarkeit des Lebens fixieren will, der künstlich stilisierten Modewelt sowie der Malerei stellt Antonioni die Frage nach der sich verwischenden Grenze zwischen Realität und ihrem fotografischen Abbild. Carola Braun

PS: Derzeit läuft an den Wochenenden im Kino Babylon-Mitte und im Zeughauskino eine Antonioni- Retrospektive.