■ Rudolf Augstein wird heute 70. Ein Gespräch mit ihm über
: Fische, Ficken, Flaschen

taz: Herr Augstein, es gibt ein schier unglaubliches Gerücht: Sie seien Aquarianer!

Augstein: Es ist doch Unsinn, zu leugnen.

Fragen in diese Richtung haben Sie früher vehement abgeblockt.

Dafür hatte ich Gründe. Richtig ist auch, daß es dumm von mir war. Aber ich habe dazugelernt.

Sie wollen heute also ganz offen darüber sprechen?

Man kann es versuchen.

Wann entdeckten Sie denn Ihre Passion, Zierfische zu halten?

Das weiß ich nicht mehr.

Und der Grund?

Aus Neugier.

Warum gerade Fische, auch Zimmerpflanzen sind doch ...

... weil es keine Alternative gab, und was notwendig ist, das ist auch vernünftig, sagt Hegel.

Sie reden wie ein Philosoph.

Ich war ja zu Anfang ein Nullphilosoph.

Und heute?

Ich bin nur der Prophet Amos. Das ist ein kleiner Prophet.

Gibt Amos den taz-Lesern eine kleine Weisheit mit auf den Weg?

Mehr oder weniger: Auf Dauer verläuft alles, was wir Menschheit nennen, in einem Nichts, das wir nicht kennen.

Das ist schön, wirklich schön. Kommt solche Erkenntnis, wenn Sie lange vor dem Aquarium sitzen und ...

... ach Gott, nein.

Aber die Meditation vor einem schwimmenden Seitenfleck- Kärpfling gibt ihnen Kraft.

Ja, und?

Es ist eine Art Religionsersatz?

Stützen braucht jeder Mensch, ob religiös oder nicht.

Eine Siamesische Rüsselbarbe als Lebenskrücke?

Ich bilde mir ein, daß ich ohne sie nicht mehr am Leben wäre. Ich brauche sie.

Eine Rüsselbarbe!? Hat diese Verbindung auch etwas mit Liebe zu tun?

Ich nehme es an. Ist ja auch keine Schande.

Und wie weit kann denn diese Zuneigung gehen?

Ich kann doch nicht sagen, daß ich gern ficken möchte, oder wollen Sie das jetzt hören?

Warum nicht, oder geht das zuweit?

In meinen Augen ja.

Aber über die Gefahren dieser Nähe von Fisch und Mensch waren Sie sich bewußt.

Nein, ich hab' die innere Bedeutung der Sache unterschätzt. Das war ein Fehler. Hätte ich wohl nicht sollen.

Wie viele Fische halten Sie derzeit?

Zwanzig vielleicht.

Nur so wenige?

Die meisten sind tot.

Sie wollten immer mehr — eine ganze Million.

Ich glaube, ich habe von 200.000 gesprochen.

Eine Million, und kein Fischschwanz weniger!

Mag sein, daß ich das in einem Schwächeanfall mal so dahingesagt habe.

Sie sind 70. An einen Verkauf der Aquarien denken Sie nicht?

Meiner Ansicht nach wäre es im Augenblick falsch, aufzuhören.

Die Fische brauchen Sie?

Unentbehrlich ist niemand.

Auch Sie nicht?

Ja, ich halte nichts davon, mich wichtig zu nehmen.

Sie kokettieren! Ihren Liebling, einen Neonsalmler, haben Sie sogar mit ins Theater genommen.

Ja.

Das ging so einfach?

Schwer.

Aber der Kleine hatte sein Vergnügen an Shakespeare, an ...

... Vergnügen nicht.

Und warum?

Ich habe ihn an der Kasse abgegeben.

An der Kasse? Sie Unmensch!

Das hat mir damals gefallen. Heute gefällt es mir natürlich nicht.

Sie wollten nicht mit einem Neonsalmler in der Theaterloge gesehen werden?

Wir waren doch damals ein arg verspießertes Land.

Und heute fühlen Sie Schuld und ...

... es geht nicht um Schuld. Schuld ist eine unerläßliche Verkehrsregel unter den Menschen.

Aber es war der Grund, warum Sie häufig zur Flasche greifen.

Irgendwann haben alle getrunken.

Aber die Flaschen ...

... sie sind entsetzlich! Sie machen Ihre Interviews mit drei Wörtern ...

... Fische, Ficken, Flaschen! Das stimmt. Wir können es aber gern anders versuchen.

Die bisherigen Erfahrungen deuten darauf hin, daß Sie dazu unfähig sind.

Nun, Sie haben Ihren Liebling, einen krummflossigen Schleierschwanz, auf den Namen „Bismarck“ getauft.

Das ist eine Zwangsläufigkeit.

Er hatte Anpassungsschwierigkeiten mit andern im Aquarium, in seiner Fischgruppe.

Da ist ein Bismarck absolut unmöglich.

Das müssen Sie mir erklären.

Er war brutal.

Worauf Sie ihn von den anderen trennten und in ein kleines Glas setzten. Was mag er da über Sie gedacht haben?

Er ist kein guter Kumpel mehr.

Dummer Bismarck!

Ja. Und da hat er eine solche verachtungsvolle Miene gezeigt! Aber ich hatte manch schönes Erlebnis mit ihm.

Er war ein Freund für Sie?

Bismarck war ein Egomane und Egoist, aber eben mit einem haarscharfen Verstand. Das findet man ganz selten.

Sie sagen, dieser krummflossige Schleierschwanz war brutal ...

... aber ich möchte ihm Gemüt nicht absprechen. Er hat vielleicht sogar mehr Gemüt gehabt, als ich habe. Zum Schluß haben ich den Alten wirklich geliebt.

Sie schlucken ja! Und da sagt man, Sie seien ein Zyniker!

Ich bin ja nicht immer zynisch.

Sie leiden an seinem Tod?

Das wird im Moment ein bißchen weniger. Man muß nicht Depressionen haben. Nicht zu diesem Zeitpunkt. Jetzt nicht mehr.

Suchen Sie neue Freundschaft, Sie sind doch ein interessanter Mann.

Ein Freund – das wird schon schwierig. So weit bin ich noch nicht.

Weil Sie Verantwortung fühlen an Bismarcks Tod!

Das ist nicht wahr!

Aber ja! Sie haben ihm konventionelles Futter gegeben – jahrelang.

Damals gab es die Ökologie noch nicht.

Herr Augstein, was ist, Sie sind plötzlich so blaß.

Morgen früh kann ich tot sein oder schon heute, wenn das mit Ihnen so weitergeht.

Und was soll ich dann tun?

Man soll ... zwei dicke Steine an meine Beine hängen und mich ins Wasser schmeißen.

Um Bismarck und den anderen Fischen nah zu sein, ganz nah?

Ja.

Herr Augstein, vielen Dank für das wirklich offene Gespräch.

Das Gespräch machte Herr Thömmes

Alle Augstein-Antworten sind Originalen und Interviews entnommen, die Stern, Zeit und SZ-Magazin wegen des 70. Geburtstags abdruckten. Die Mischung indes erfolgte ebenso willkürlich wie sorgfältig.