Menschen wie du bzw.ich: Der Herr des Lichts Von Claudia Kohlhase

Wenn er will, ist Licht. Sonst nicht. Es ist, als wenn er das Licht gefangengenommen hätte. Er besitzt am Rande der Innenstadt ein verschlossenes Geschäft; in einer jener Straßen, in denen sich Busse und Bahnen gute Nacht sagen. Das Geschäft besitzt drei kleine Schaufenster, die sehen einen nicht wirklich; da steht nur Gelichter, das nichts zu sagen hat. Oben drüber steht in Goldbuchstaben „Interieur“, was nicht mal gelogen ist. Aber drinnen sind bloß Lampen.

Wenn man lange genug geklingelt hat, dann kommt er auch: der Herr des Lichts. Er ist ein bißchen verwundert, daß man so lange gewartet hat. Aber immerhin steht ja da: bitte klingeln. Gleich schließt er hinter einem ab, so daß man gefangen ist wie alle hier. Dann geht er mal vor: Das ist gut, da trifft einen der Schlag kontrollierter. Denn auf einmal, nach drei kleinen Stufen, steht man in einem dunkel brausenden Lichtermeer: Das sind die Lampen! Hunderte, Tausende, und keine einzige ist entzündet. Ein filigran erloschener Wald, der seine Zweige wie Arme nach dir ausstreckt.

Aus aller Herren Länder muß er sie entführt haben, die kostbarsten ihres Geschlechts: goldene Staudenfüße, blinzelnde Glastropfen, ziseliertestes Eisenlaub, quellendes Marmorobst, brokatene Pergamenthäute, englische Pudelsäulen, Ming-und-Mang-Leuchten, ach, und alles tausendfach. Und während du über Löwentatzen und persische Läufer stolperst, führt dich der Herr immer tiefer und tiefer in seine Höhle; niemals wieder wirst du entkommen. Verschwiegene Treppen steigen dir entgegen, kleine Brücken schlagen Haken um deine Hasenfüße – und nirgends darfst du verweilen oder gar schauen. Immer weiter treibt er dich, bis er im zweiten Stock endlich anhält, weil: Hier ist das Fenster. Und sein Büro.

Hier endlich gewährt er dir einen Anblick seiner eisgrauen Augen und fragt nach deinem Begehr: Wo bin ich, möchtest du fragen, am Ende in einem Märchen, wenn auch in einem erloschenen? Aber erschöpft stammelst du etwas von Hängelampe, und: bißchen was Nettes. O Gott, was heißt hier Nettes! Und Hängelampe! Unter siebenkronigen Kandelabern aus grandi palazzis! Aber der Herr hat ein Einsehen mit stammelnden Gutwilligen, schnippt mit den Fingern, daß wilde Ringe funkeln, und läßt Kataloge tanzen auf seinem Elefantentisch.

Könnte ich mich nicht einfach mal umsehen, fragst du blaß vor Mut; aber er: Umsehen? Hier? Wer bin ich, daß ich glaube, meinen Augen zu trauen! In dieser Fülle! Aber gutgut, geht er eben wieder vor, also zurück, sehen wir uns eben um, wenn ich unbedingt will. Und wie zur Strafe oder bei Hänsel und Gretel klaubt er plötzlich aus allen Ecken die Schalter und siehe: Es ward Licht! Wie eine jubelnde Welle setzt es sich fort und fort; in die hintersten Ecken, bis ein Gleißen ist um den Herrn und mich, daß es für mehrere Wunder reichen würde. Aber bloß wir stehen übergossen wie chinesische Pudel, und sonst ereignet sich nichts.

Warum er bloß alles wegschließt, frage ich noch einmal tollkühn. Ha – hat er Kundschaft nötig?! Da müßte er ja dauernd das Licht anlassen! Und augenblicklich löscht er die Lampen. Und fröstelnd bittest du um Auslaß und drehst dich auf der Straße noch einmal um: Da ist alles versteinert.