Zwischen den Rillen
: Flatlanders

■ Texas macht Typen. Heißen dann Ely, Halley oder Jimmie Dale Gilmore

Was wissen Sie über Lubbock? Wahrscheinlich gar nichts. Lassen Sie also vor Ihrem geistigen Auge eine endlos weite, superflache, staubtrockene Einöde auferstehen, in der eine Windstärke von, sagen wir, 7 bis 8 fast schon als laues Lüftchen gilt. Und mittendrin eine Kleinstadt wie Ritter Sport: quadratisch, praktisch – gut?

Billig jedenfalls. So billig, so anheimelnd, daß sich dort genügend Männer (und auch die eine oder andere Frau) gern allein oder in Grüppchen ins stille Kämmerlein zurückziehen, um ein paar Songs zu Papier zu bringen. Lubbock kann schon deshalb nur in Texas liegen – einem Bundesstaat, der mindestens ebensoviele Songwriter-Größen wie neureiche Rinder- und Öl-Barone hervorgebracht hat.

1965 pilgerte ein britischer Journalist nach Lubbock, um die Eltern von Buddy Holly zu interviewen. Holly, bekanntester Sohn der Stadt, war 1959 den damals klassischen Rock'n'Roll-Tod (Flugzeugabsturz) gestorben. Der Reporter schwärmte von einem jungen Mann, den er singen gehört habe – „fast so schön wie Buddy“. Vater Holly ließ sich rühren und spendierte dem jungen Mann die erste Aufnahmesession. Er hieß Jimmie Dale Gilmore, wurde aber von seiner späteren (ersten) Frau Jo Carol Pierce (natürlich: schreibt auch Songs) längst „Lachendes Wasser“ gerufen – weniger, weil er wie ein Wilder Square Dance tanzte, sondern seiner indianisch anmutenden Physiognomie wegen.

Über 25 Jahre, eine semilegendäre Band (mit treffendem Namen The Flatlanders) und eine makrobiotische Guru- Auszeit in Denver später, verfügt Jimmie Dale Gilmore immer noch über eine Stimme, die jeden Song nach eigenem Gusto formt. Das erinnert mal an Roy Orbison (der, by the way, auch in Lubbock aufwuchs) und in der störrischen wie geschmeidigen Eigenwilligkeit des Vortrags manchmal auch an Fellow- Texan Willie Nelson.

Für sein aktuelles Album „Spinning Around The Sun“ kehrte Jimmie Dale Gilmore nach Nashville zurück, eine Stadt, die ihm Anfang der Siebziger mit den Flatlanders noch unbarmherzig als „Nash Vegas“ die kalte Schulter gezeigt hatte. Doch heute kann Veteran Producer Emory Gordy Jr. die ganze Bandbreite dieser Stimme meisterlich herausarbeiten: Mal schmeichelt er ihr, dann versucht er ihr den Schneid abzukaufen. Und beides funktioniert. Da wird selbst ein Hank-Williams-Oldie („I'm So Lonesome I Could Cry“) wieder spannend; auch deshalb, weil Gordy eine hochinteressante Studiocrew dirigierte, die bewährte Nashville-Musiker mit gestandenen Westcoast- Größen wie Gitarrist James Burton und Pianist Glen D. Hardin (beide of Elvis' fame) zusammenführte.

Für The Best Of Both Worlds steht auch der Name Joe Ely. 1980 hieß es „London Calling“ für den Ex-Freight-Train-Hobo und Zweiten im Flatlanders- Bunde: The Clash luden den Mann aus Texas als „Revanche“ für eine gemeinsame US-Tour nach London ein. „Live Shots“, das Dokument dieser ungewöhnlichen Liason, liegt jetzt (inkl. vier Extra-Tracks) endlich als CD-Reissue vor. Sagte ich „ungewöhnlich“? Das ist es wohl nur für den, der ignorieren will, daß Country und Rock 'n' Roll ursprünglich nur einen Herzschlag voneinander entfernt waren. Während Nashville längst voll auf Pop-Schlock setzte, beharrte Ely trotzig auf dem gemeinsamen Stammbaum, spürte ungestüm seinen Verästelungen nach, und nahm damit quasi vorweg, was drei, vier Jahre später als „neues Ding“ namens Cow Punk verkauft wurde. Eins hatte Ely seinen Epigonen dabei immer voraus: Wenn er sich einer Dame an den Ufern des Rio Grande zu Füßen warf („She Never Spoke Spanish To Me“) oder eine Megadosis Homesickness rausließ („Wishin' For You“), klingt das auch heute noch kaum minder stilecht. Beide Songs stammen übrigens von Butch Hancock (richtig: Der dritte Flatlanders- Mann).

Auch David Halley – inzwischen wie Gilmore und Ely längst ins 365 Meilen südöstlich gelegene Musik-Mekka Austin übergesiedelt – verspürt gelegentlich Heimweh. Jedenfalls hat dieser jüngere (wenn auch nicht gänzlich junge) Vertreter der Lubbock-Liga einen Song über seine „Hometown“ geschrieben, die er u.a. als „eine Faust voll Dreck im Auge eines Zyklon-Zauns“ nicht eben schmeichelhaft umgarnt. „Broken Spell“ heißt das neue (zweite) Album von Halley – ein Titel, der den beunruhigenden Schwebezustand vieler Protagonisten und Sujets bei ihm trefflich einfängt. Hier gibt's viele Kartenhäuschen, die bald in sich zusammenfallen, viele Wracks, deren Leben sich nicht mit dem Erträumten messen lassen kann. Was bleibt da anderes, als in ein „Prayer“ (Songtitel) für die Vergessenen und Verlorenen einzustimmen? Und doch schwebt da fast immer auch ein kleiner Silberschweif am Horizont, weil Halley die kleinen und großen Desaster mit einer Musik und einer Stimme relativiert, deren sanftes Wollen und Beharren selbst in exaltierten Momenten Versöhnung stiftet.

Kleine, aber wichtige Frage am Rande: Woran erkennt man einen Texas-Songwriter? Na, am „God“-Song. Nach, beispielsweise, Lyle Lovett („God Will“) und – siehe oben – Jo Carol Pierce („I Blame God“, aufgenommen von Michael Hall auf seinem ersten Soloalbum „Quarter To Three“), steuert jetzt auch David Halley mit dem (für seine Verhältnisse) fast schon fröhlichen „Girlfriend“ einen Titel zu dieser Kategorie bei: Kommunikationsprobleme mit dem Vater, Mütter kamen und gingen – Gott liebe ihn eben nur „in the form of girlfriends“. Besser als nichts, oder? Jörg Feyer

Jimmie Dale Gilmore: „Spinning Around The Sun“ (Elektra/TIS)

Joe Ely: „Live Shots“

(MCA/ARIS)

David Halley: „Broken Spall“ (Dos/IRS)