Haiti – Zweigstelle des Cali-Kartells

US-Drogenfahnder schätzen, daß wöchentlich 700 Kilo Kokain in Haiti umgeschlagen werden / Behörden tun fast nichts / Putschisten kamen zu verdächtigem Reichtum  ■ Aus Port-au-Prince Ralf Leonhard

Mit dem Auftauchen eines mit 650 Marines bemannten Amphibienbootes vor den Küsten Haitis werden Washingtons Drohgebärden gegen die unnachgiebigigen Militärs in Port-au-Prince ernster. Unter der Blockade leidet nicht nur die Ölversorgung des Landes. Sie hat auch einen anderen für die USA wünschenswerten Effekt, nämlich die Behinderung der internationalen Drogenschieberei über Haiti.

Bisher wurden in Haiti nur verschwindend geringe Mengen der auf der Insel umgeschlagenen Kokain-Lieferungen abgefangen. Ein Drogenspezialist der US-Botschaft in Port-au-Prince weiß von wöchentlich 10 bis 15 Kilo, das entspricht weniger als zwei Prozent der nach Schätzungen der US- Drogenbehörde DEA (Drug Enforcement Agency) durch das Land geschleusten Menge.

Besonders kooperativ zeigen sich die haitianischen Behörden nicht. Als vor ein paar Tagen bekannt wurde, daß mehrere hohe Militärs und Figuren der verschiedenen De-facto-Regimes der vergangenen Jahre auf der Gehaltsliste des CIA standen, erklärte ein Kongreßabgeordneter in Washington, „für das Geld hätten wir mehr bekommen können, zum Beispiel in Sachen Drogenfahndung“. Warum die haitianischen Agenten auf dem Gebiet wenig hilfreich waren, liegt nahe: Viele waren selbst in das lukrative Geschäft verwickelt.

Haiti ist durch seine geographische Lage im Korridor von Kolumbien nach Florida als Drogenumschlagplatz prädestiniert. Die Ware gelangt per Schiff, in Kleinflugzeugen, die Pakete vor der Küste abwerfen und in kleinen Mengen mittels Flugpassagieren, sogenannten „mulas“ (Maultieren), ins Land. Cap Haitien im Norden, Port-de-Paix im Nordwesten, Les Cayes und Jeremie im äußersten Südwesten und kleine Häfen in der Nähe von Port-au-Prince sind traditionelle Umschlagpunkte.

Wieviel herein und hinausgeht, weiß keiner ganz genau. Die DEA spricht von monatlich tausend Kilo, die das Land erreichen und verlassen, die haitianische Drogenbehörde CICC (Centres d'Investigation et Coordination Conjointes) will von lediglich 3.000 Kilogramm jährlich wissen und behauptet, davon 15 Prozent abzufangen. Präsident Aristide nannte in seiner Ansprache vor den Vereinten Nationen am Donnerstag die Zahl 48 Tonnen mit einem Handelswert von 1,2 Milliarden Dollar; das entspricht der Menge, die laut Quellen in Washington in Haiti und der benachbarten Dominikanischen Republik gemeinsam umgeschlagen wird. Vieles geht über die Landgrenze in die Dominikanische Republik, und von dort weiter nach Puerto Rico. Damit ist der Stoff praktisch schon in den USA. 200.000 Dollar blieben laut Aristide als Gewinn in Haiti.

In jedem Fall handelt es sich um ein lohnendes Geschäft für die haitianischen Handlanger des Kartells von Cali, die die Sicherheit für den Weitertransport garantieren. Das „Kartell von Medellin“ des flüchtigen Drogenzars Pablo Escobar hat Haiti bisher vermieden. Aristide beschuldigt die hohen Militärs direkt der Drogenschieberei. Anders hätte das Regime gar nicht trotz zweier Jahre internationaler Sanktionen überleben können. Die DEA weiß nichts über eine Verstrickung der Putschführer. Zwar ermittelte die Justiz gegen einige Militärs wegen Drogenhandels, doch ist der höchstrangige ein Hauptmann.

In einem System, das auf Korruption und Terror beruht, fällt es allerdings schwer zu glauben, daß nachgeordnete Offiziere ohne Wissen ihrer Vorgesetzten größere Geschäfte abwickeln können. Daß mehrere Obristen in letzter Zeit luxuriöse Häuser mit sechsstelligen Dollarbeträgen in bar bezahlt haben, läßt auch gewisse Rückschlüsse zu. Einer davon ist Oberst Antoine Atouriste, der Chef der haitianischen Drogenbehörde und eine der illustren Persönlichkeiten, deren Guthaben in den USA durch das Embargo eingefroren wurden. Der berüchtigte Oberstleutnant Michel Francois, der hoch verschuldet war, als er sich nach dem Putsch selbst zum Polizeichef ernannte, nennt jetzt mehrere Villen sein eigen.

„Wissen Sie, was ein Offizier hier offiziell verdient? Damit könnte er in zwanzig Jahren kein Haus kaufen“, meint die Managerin eines Hotels in Port-au-Prince. Und auch Stan Schrager, der Sprecher der US-Botschaft, kann seine Zweifel nicht verbergen: „Das Geld wächst hier nicht auf Bäumen.“ Zwar muß der verdächtige Reichtum nicht unbedingt zur Gänze aus dem Drogengeschäft kommen, schließlich waren die Zementfabrik und verschiedene Staatsmonopole auch in der Vergangenheit Quellen unermeßlicher Bereicherung, doch drängt sich der Verdacht der direkten Komplizenschaft auf.

Die Zusammenarbeit zwischen DEA und CICC verläuft äußerst einseitig. Die DEA gibt alle Informationen, die sie über ihre wenigen Agenten im Land erhält, an das CICC weiter und hofft, daß die Behörden entsprechende Maßnahmen ergreifen. Haiti hat keine Radarüberwachung, um die Kokain-Flugzeuge beim Anflug zu orten. Selbst der internationale Flughafen von Port-au-Prince kann nur bei Tag funktionieren, da die Piloten auf Sicht navigieren müssen. Der Drogenexperte an der US- Botschaft weiß nicht, was die haitianischen Behörden mit der Information anfangen. Auch über das Schicksal der konfiszierten Rauschmittel weiß er nichts. Daher ist nicht auszuschließen, daß der Stoff nur umgepackt und weiterverkauft wird. In anderen Ländern, die um ihren Ruf besorgt sind, werden beschlagnahmte Drogensendungen mit viel Publizität verbrannt. Die haitianischen Militärchefs haben offensichtlich keinen Ruf zu verlieren.