Rußland: Zwischen Konföderation und Föderation

■ Präsident Jelzin diskutiert Verfassungsentwurf mit Vertretern der Regionen / Streit über Souveränität der Republiken / Schlichtungskommission gebildet

Moskau (taz) – Am 10. November soll das Tauziehen um Rußlands neue Verfassung nun endlich ein Ende haben und der Entwurf in den Medien veröffentlicht werden. Womöglich können dann zeitgleich mit den Parlamentswahlen am 12. Dezember die Bürger mittels Referendum über die Annahme der neuen Konstitution selbst entscheiden.

Am Mittwoch hatten sich die politischen Führungen der 88 Subjekte der Föderation mit gestaffelten Sonderrechten mit Präsident Jelzin getroffen, um das Verfassungsprojekt zu diskutieren. Wohl kaum konnte Jelzin annehmen, die Republiksführungen würden ohne Wenn und Aber der überarbeiteten Version ihr uneingeschränktes Placet schenken. Doch die bis zum Oktoberputsch widerspenstigen republikanischen und regionalen Fürsten gaben sich diesmal schon wesentlich konzilianter. Bis zur nächsten Woche befaßt sich eine sechsköpfige Kommission mit den Änderungsvorschlägen.

Ihr gehören neben Vizepremier Schachrai und dem Leiter der präsidialen Administration, Filatow, jeweils zwei Vertreter aus den Republiken und Regionen an.

Sollte die Kommission keine Übereinkunft erzielen, wolle Jelzin selbst eine endgültige Entscheidung treffen, meinte Filatow. Streitpunkt bleibt, ob der Föderationsvertrag ein Bestandteil der Verfassung werden soll wie ursprünglich geplant oder als ein gesondertes Vertragswerk behandelt wird. Jakutiens Präsident Nikolajew betonte, der Föderationsvertrag würde auf jeden Fall in seiner Bedeutung der Konstitution gleichwertig sein. Die verfassunggebende Versammlung hatte außerdem vorgeschlagen, aus dem Text die Bezeichnungen „souveräner Staat“ und „Souveränität“ zu streichen. Demnach werden die „Republiken“ auch weiterhin so heißen. Dies könnte zu Schwierigkeiten mit der rohstoffreichen Republik Tartastan führen, die ihre Souveränität erklärt hatte und bereits eine eigene Verfassung verabschiedete.

Jelzin hatte zuvor gewarnt: „Die Drohung, eine Republik könnte möglicherweise aus der Föderation aussteigen, bereitet jedem Bürger Sorgen. Mit solchen Dingen sollten wir nicht spielen.“ Der Schritt zur Sezession von Rußland wäre in der Tat einfacher, würden die Republiken den Status „souveräner Staaten“ innehaben. Das, so argumentiert die Zentrale wiederholt, käme bereits einer Konföderation gleich.

Auf einem Treffen aller Subjekte ohne Dagestan und Tartastan schien man einer Lösung näherzukommen. Man wollte nicht an dem Wort „Souveränität“ mit aller Macht festhalten. Wenn dafür in die Verfassung Punkt eins des dritten Artikels des Föderationsvertrages übernommen wird: „Die Republiken besitzen uneingeschränkte Macht (legislative, exekutive, juridische) auf ihrem Territorium mit Ausnahme der Vollmachten, die an föderale Organe übertragen wurden“.

Seit langem versuchen die Subjekte für sich mehr Bewegungsfreiheit herauszuschlagen. Egoistische Interessen der lokalen Eliten und Nützlichkeitserwägungen gehen dabei häufig Hand in Hand. In Moskau war die Erkenntnis gereift, nur eine weitere Dezentralisierung Rußlands würde das Land auf Dauer zusammenhalten. Die jetzigen Bewegungen, die nach Machtbeschneidung aussehen, sind den Entwicklungen der letzten Wochen geschuldet.

Die lokalen Eliten hatten die Putschisten Chasbulatow und Ruzkoi lange Zeit hofiert, um bei Jelzin mehr Selbständigkeit herauszuschlagen. Ein Zugeständnis in Richtung weitgehende wirtschaftliche Selbständigkeit, bei gleichzeitiger Stutzung „souveräner Vollmachten“, beraubt die Provinzfürsten fürderhin der Chance, je nach Belieben das Zentrum unter Druck zu setzen. Das betrifft auch die Reformvorhaben. Es gilt als offenes Geheimnis, daß die örtlichen Eliten – weitgehend identisch mit der sowjetischen Nomenklatura – darüber selbst entscheiden wollen, um sich vornehmlich selbst zu bedienen. Klaus-Helge Donath