Nicht nur „Spielwiese für Ostler“

■ In der Enquetekommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gab es in 53 Sitzungen mehr sachkundige Arbeit als eitle Politikerselbstdarstellung

Berlin (taz) – Die Prophezeiung Bonner Spötter hat sich nicht erfüllt: die Enquetekommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ist nach anderthalb Jahren Sitzungsarbeit nicht zur „Spielwiese für Ostler“ verkommen. Die Hoffnungen der Bürgerrechtler wurden allerdings ebenfalls enttäuscht: zum Tribunal, vor dem 40 Jahre SED-Diktatur abgeurteilt werden, konnte sich das Bundestagsgremium, in dem Parlamentarier und Sachverständige gemeinsam die Aufarbeitung der deutsch-deutschen Vergangenheit betreiben, auch nicht mausern.

Eher hat der „Erfinder“ der Enquetekommission, CDU/CSU- Fraktionschef Schäuble, recht behalten. Im Februar 1992 anläßlich einer Anhörung im Vorfeld ihrer Gründung wies er ihr die Aufgabe zu, die SED-Vergangenheit durch Anhörungen, Befragungen von Zeitzeugen und Vorträgen von Sachverständigen „nachzubereiten“. Die Enquetekommission sollte also in erster Linie den Diskussionsprozeß über die jüngste Vergangenheit in Gang bringen beziehungsweise halten und nicht, wie es die Bundestagsgeschäftsordnung vorsieht, „zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe“ dienen.

Möglicherweise bleibt dieser Kommission dadurch das Schicksal einiger Vorläuferinnen erspart. Sie erschöpften sich darin, nach jahrelangen Sitzungsmarathons dem amtierenden Parlamentspräsidenten im Blitzlichtgewitter der Fotografen einen dicken Abschlußbericht zu überreichen, der anschließend auf Nimmerwiedersehen im Bundestagsarchiv verschwand.

Sinn und Zweck einer Enquetekommission liegen dem hehren Parlamentsverständnis entsprechend natürlich ganz woanders. In der Hoffnung, eine Brücke zwischen wissenschaftlichem Sachverstand und politischem Handlungszwang schlagen zu können, haben die Bonner Parlamentarier mit der sogenannten „Kleinen Parlamentsreform“ 1969 das Instrument der Enquetekommission geschaffen. Es dient dazu, wichtige Parlamentsentscheidungen in Zusammenarbeit mit Sachverständigen gründlich vorzubereiten. Die Parteien entsenden ihrer Fraktionsstärke entsprechend Vertreter, die ihrerseits Sachverständige berufen. Darüber hinaus kann eine Enquetekommission Forschungsaufträge verteilen und Expertisen von Fachleuten einholen. So soll gewährleistet werden, daß komplexe Themen angemessen aufbereitet werden, bevor sie dem Parlament zur Entscheidung vorgelegt werden.

Die erste Enquetekommission hat der Bundestag 1970 eingerichtet. Ihr Auftrag: die auswärtige Kulturpolitik zu durchleuchten und Empfehlungen für eine bessere kulturelle Repräsentation der Bundesrepublik Deutschland zu erarbeiten. 1973 wurde ein weiteres gemischtes Politiker- und Expertengremium zum Thema Verfassungsreform einberufen, 1979 diskutierten Parlamentarier und Fachleute über die Stellung von Frau und Familie, im gleichen Jahr wurde die Enquetekommission Kernenergie eingerichtet. Es folgten Kommissionen mit den Themenschwerpunkten: neue Kommunikationstechniken, Jugendprotest im modernen Staat, soziale Folgen der Technik, Gentechnologie und Ozonloch.

Daß die Enquetekommission zur DDR-Vergangenheitsbewältigung nach 53 Sitzungen noch nicht sang- und klanglos im politischen Alltagsgeschäft untergegangen ist, hat viel zu tun mit ihren Themen und der Art, wie sie aufbereitet werden. Da wurde beispielsweise öffentlich über alte Seilschaften verhandelt oder die Verflechtung von SED und Justiz in der DDR durchleuchtet – zwei Themen, die viele Gemüter im Osten auch heute noch erregen.

Zu den jeweiligen Anhörungen werden möglichst Täter und Opfer geladen, verhandelt wird am Ort des Geschehens, also in Rostock, Leipzig, Berlin oder anderswo in der Ex- DDR. Die Sitzungen finden – wenn möglich – auch noch in symbolträchtiger Umgebung statt: der Schwerpunkt Kultur beispielsweise wurde in der Ostberliner Akademie der Künste verhandelt, die Machtstrukturen der untergegangenen DDR am Sitz des ehemaligen SED-Zentralkomitees durchleuchtet.

Natürlich ist auch diese Enquetekommission, die der ehemalige DDR-Dissident Rainer Eppelmann (CDU) leitet, nicht davor gefeit, daß ihre öffentlichen Sitzungen zur Selbstdarstellung eitler Politiker mißbraucht oder in die Niederungen des Parteiengezänks verstrickt werden. Das haben dieser Tage die Anhörungen zur Deutschlandpolitik im Reichstag gezeigt, die unter anderen den ehemaligen innerdeutschen Ministern ein Auftrittsforum boten und mit der Befragung von Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher und Hans-Joachim Vogel zu Ende gingen. Zur Aufhellung der deutschen Nachkriegsgeschichte hat kaum einer der Prominentenauftritte beigetragen, trotz oder vielleicht auch wegen des gesteigerten Medieninteresses.

Doch der Kommissionsauftrag nimmt daran keinen Schaden. Denn nicht die Großkopferten der Bonner Politik tragen dazu bei, daß die Geschichtsaufarbeitung in der Enquetekommission gelingt. Es sind vielmehr ausgewiesene Fachleute wie der langjährige DDR-Forscher Herman Weber oder der Stasi-Experte Karl-Wilhelm Fricke, die durch ihre Mitarbeit in die Kommission den nötigen Sachverstand einbringen. Oder Praktiker wie der Leiter der Berliner Arbeitsgruppe Regierungskriminalität, Christoph Schaefgen, die durch ihre Vorträge vor der Kommission den Blick für die Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur schärfen. Das mögen zwar im Endeffekt alles nur papierne Weisheiten sein, die irgendwann zusammen mit dem Schlußbericht der Enquetekommission im Archiv verschwinden. Doch wer es ernst meint mit der deutschen Vergangenheitsbewältigung, der kann auf die hier gewonnenen Erkenntnisse nicht verzichten. Arnold Seul