„Rodelheld rettete Kameraden“

■ Wie die US-Presse den Überfall sieht – und wie Deutschland um Sorry bettelt

Mit ein oder zwei Agenturmeldungen hatte Bob Hughes gerechnet. Mehr nicht. Doch seit Samstag steht das Telefon nicht mehr still. Nachrichtenagenturen wollen mehr Informationen, Verbandsmitglieder von San Francisco bis New York rufen an, deutsche Fernsehteams bitten zum Interview, die Washington Post und die New York Times bringen nun schon den jeweils dritten Artikel hintereinander. „US-Rodelteam von deutschen Skinheads angegriffen“ lautete die Überschrift im Boulevardblatt New York Daily News. „Rodelheld rettete Kameraden“ war am nächsten Tag zu lesen. Gemeint war Duncan Kennedy, ein 25jähriger weißer US- Rennrodler, der am letzten Freitag in einer Kneipe im thüringischen Oberhof von Skinheads zusammengeschlagen wurde, nachdem er seinen schwarzen Teamkollegen Robert Pipkins gegen rassistische Angriffe verteidigt hatte. Bereits zuvor hatte ein jüdischer Mannschaftskamerad, Gordy Sheer, die Kneipe verlassen, nachdem die Skinheads Nazi-Flaggen aufgezogen hatten. Kennedy, Sheer und Pipkins sind inzwischen im österreichischen Igls, wo die Mannschaft weiter trainiert. Dort kuriert Kennedy eine Prellung an den Rippen und sein von Schlägen malträtiertes Gesicht

Bei Bob Hughes, dem PR-Direktor des US-Rennrodler-Verbandes, stapelt sich unterdessen Post aus Deutschland. Jürgen Kleemann, Vorsitzender der Konferenz der Sportminister der Bundesländer, hat seiner Bestürzung Ausdruck verliehen – ebenso die deutschen Rodel- und Bobmannschaften; Josef Fendt, Vizepräsident des Internationalen Rennrodel-Verbandes, hat angekündigt, daß er persönlich im Januar beim Weltcup-Rennen in Oberhof dabeisein wird, um für die körperliche Unversehrtheit der amerikanischen Sportler Sorge zu tragen. „Und so wie es jetzt aussieht“, sagt Hughes, „werden unsere Jungs im Januar dabeisein. Wir vertrauen darauf, daß die deutsche Polizei die Sicherheit der Sportler garantieren kann.“

Die „Jungs“ geben unterdessen Telefoninterviews und versichern, daß sie sich von „einem Haufen Punks“ nicht einschüchtern lassen. („Punk“ ist ein amerikanisches Schimpfwort für jugendliche Kriminelle.) Außerdem möchte Bob Hughes im Namen des Teams noch einmal versichern, daß niemand irgendeinen Groll gegen die Oberhofer hege. Die könne man nicht für etwas verantwortlich machen, was Jugendliche aus dem Nachbarort verschuldet hätten. Die stammten schließlich aus Suhl. Für die amerikanische Presse war die Angelegenheit damit noch lange nicht erledigt. „Deutsche Behörden ermitteln wegen rechtsradikaler Attacken gegen US-Sportler“, titelte am Dienstag die Washington Post. Nicht nur die Schritte der deutschen Staatsanwälte wurden aufmerksam verfolgt, sondern auch die Berichterstattung in Deutschland – und der Umstand, daß diese Attacke die deutsche Öffentlichkeit weit mehr beschäftigt, „weil“, so die Washington Post, „die Opfer in diesem Fall amerikanische Athleten waren“. Nicht nur die US-Medien, auch Menschen- und Bürgerrechtsgruppen haben den jüngsten Vorfall registriert.

Auch dort ist man sich klar, daß Nationalität und Status der Angegriffenen den Fall prominent gemacht haben. Hätten die Skinheads in Oberhof einen schwarzen Asylsuchenden oder Immigranten angegriffen, sagt Holly Cartner, Sprecherin der Menschenrechtsorganisation „Helsinki Watch“ in New York, „hätte sich kaum einer dafür interessiert“. Während, von Oberhof abgesehen, andere Schlagzeilen wie der Streit um das Amt des Bundespräsidenten oder den sogenannten Aids-Blut-Skandal die US-Berichterstattung über Deutschland prägen, befaßt man sich zunehmend in akademischen Kreisen mit dem Thema Rechtsradikalismus in Deutschland. Workshops, Konferenzen und Tagungen – oft in Zusammenarbeit mit den Goethe-Instituten – reihen sich aneinander. „Aber“, sagt James Horton, Historiker an der George- Washington-Universität, der selbst in Deutschland unterrichtet hat, „man sollte sich in Deutschland klar darüber sein, daß die US- Presse ein Auge auf die Entwicklung hat.“

Horton, selbst Afroamerikaner, hatte sich im letzten Jahr entschlossen, vorerst nicht mehr nach Deutschland zu reisen. Obwohl er Land und Leute mag und lange Zeit das Gefühl genoß, in Städten wie München oder Hamburg auch spätabends noch die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen zu können. Für einen Amerikaner, der „wie ich in Städten mit hoher Kriminalität aufgewachsen ist und lebt, ist das ein Luxusgefühl“. Daß er sich nun in Deutschland aufgrund seiner Hautfarbe nicht mehr sicher fühlen kann, macht ihn „traurig und wütend. Es ist, als ob man mir einen ganz speziellen Ort weggenommen hat.“ Andrea Böhm, Washington