„Willste was in die Fresse?“

Oberhof schämt sich. Nach der Skinhead-Attacke auf US-Rodler müht sich das Sportdorf ab, seinen angekratzten Ruf zu retten. Einig sind sich die 2.300 Oberdorfer in zweierlei: Verwundert über die gewalttätigen Rechtsextremen ist niemand, und viele wollen Verantwortung übernehmen. Um den Ruf wieder blank zu polieren.

Im Bauernrestaurant in Oberhof geht es ausnahmsweise mal nicht zünftig zu. Kaum ein Mucks ist zu hören von den knapp hundert Oberhofern. Still und leise sitzen sie an den Tischen. Kein Gläserklirren, keine Trinksprüche. Die Oberhofer sind beschämt. Innerhalb weniger Tage hat ein rassistischer Übergriff von Skinheads auf US-amerikanische Rennrodler das thüringische Sport-Dorf in die Schlagzeilen der Weltpresse gebracht. Sicher, man ist sich einig, daß es kein Spektakel gegeben hätte, wenn etwa ein Russe angegriffen worden wäre. Sicher, bis auf ein paar blaue Flecken ist nichts passiert. Natürlich, die Amis bauschen die Geschichte selbstgefällig auf, und die Medien reagieren außergewöhnlich aggressiv. Und doch: Die Oberhofer schieben die Verantwortung nicht weg. Vielleicht, so glaubt man, war das die Warnung zur rechten Zeit.

„Lassen Sie uns nicht so tun, als ob wir überrascht worden wären“, sagt die Mutter eines Sportlers, der eine Woche vor dem Überfall auf die Amerikaner von Skinheads grün und blau geschlagen wurde – in ebenjener Discothek Kurpark. Sie fordert die sofortige Schließung der Disco – und erntet eine Gegenrede. „Wir können unsere Jugend nicht bestrafen, weil Skinheads hier randalieren. Die Rechtsextremisten kommen aus Suhl hier hoch, weil sie bereits überall sonst Hausverbot haben. Auch hier müssen wir sie aussperren. Aber nicht unseren Jugendlichen die Freizeitmöglichkeiten nehmen, sollen sie alle in die Spielhölle?“ fragt ein Bürger. Die Jugendlichen, die fast ein Drittel der Anwesenden stellen, klatschen.

Unter Beifall einigt man sich darauf, daß Oberhof selbst keine rechte Szene hat. Oder etwa doch? „Ich habe schon oft braune Parolen aus Oberhofer Wohnungen skandieren hören“, sagt Leutnant Armin Koch, der dienstälteste Militär der Sportfördergruppe der Bundeswehr in Oberhof. Und warnt vor zuviel Zweckoptimismus: „Wir leben davon, daß Sportler hierherkommen zum Trainieren. Wenn der Sport stirbt, kann Oberhof dichtmachen. Dann gibt's keine Subventionen mehr, der Sportbund zieht sich zurück.“ Schon hat aufgeregt der Gewerbeverein über die möglichen Folgen der Schlägerei auf die ökonomische Entwicklung des Dorfes getagt. Tatsächlich sind der Olympiastützpunkt und das Bundesleistungszentrum ein großer wirtschaftlicher Faktor für den 2.300 Einwohner zählenden Ort. Denn der Leistungssport – Oberhof gilt als idealer Trainingsort für nordische Skifahrer, Bobfahrer und Rodler – zieht Sport-Tourismus nach sich. Viele wollen in Oberhof Olympiasieger üben sehen.

Wenn die nicht gerade im Ausland sind. „Gestern ist eine Gruppe zum Training ins Ausland gefahren, denen war mulmig. Die Sportler sind selbst ständig Ausländer, sie reisen zu Wettkämpfen, dem Schnee hinterher“, sagt Olympiastützpunktleiter Wolfgang Filbrich. Und ist sich, mit den Oberhofern, einig: Das Problem, das sich hier in Oberhof stellt, sei das der Gesellschaft: „Der Sport ist völkerverbindend.“

„Wir können in Oberhof nicht ausbaden, was die in Bonn verbocken. Der Rechtsradikalismus ist nicht auf dem Boden der DDR gewachsen. Er kommt aus den alten Bundesländern zu uns rüber“, sagt ein älterer Bürger. „Wir müssen den Anfängen wehren.“

Doch haben sie das? Für Ingrid Roth, die Pächterin der Disco Kurpark-Klause, waren Skinheads bis vor ein paar Tagen ganz normale zahlende Gäste. Seit etwa zwei Monaten kommen sie regelmäßig. In Gruppen und in voller Skinheadmontur pöbeln sie die Dorfjugend an, die mittlerweile schon weiß, wie sie zu reagieren hat: „Ignorieren und sich verziehen.“

„Bei der ersten Schlägerei haben die Sportler die Skins provoziert“, sagt Frau Roth. Vom Übergriff auf die Amerikaner will sie gar nichts mitbekommen haben. „Da war ich wohl gerade in der Küche. Es tut mit alles so leid“, gesteht sie und fleht die Dorfversammlung unter Tränen an, sie nicht zu ruinieren. Gleich nach dem Übergriff wurde die Discothek vom Gemeinderat vorläufig geschlossen. „Wie wär's, wenn wir am 11.11. wieder eröffnen – mit einer traditionellen Faschingsparty?“ lockt Frau Roth mit verzweifeltem Lächeln. Entsetzt reißt der 21jährige Manuel S. ihr das Mikrofon aus der Hand. „Uns steht es besser an, einen antirassistischen Aktionstag zu organisieren, statt Karneval zu feiern.“ Die Gemeinde gibt ihm recht und klatscht. Frau Roth duckt sich.

Manuel S. hat jenen Freitagabend miterlebt. Er war zunächst im Bergkristall „BK“ gegenüber der Kurpark-Klause. Dort saßen etwa fünfzehn Skinheads. „Sie haben mich und meinen Freund angepöbelt: Willste was in die Fresse? Wollten wir nicht, also gingen wir in die Klause. Dort saßen die Amerikaner und etwa fünf andere Oberhofer, nicht mehr. Ich sprach mit den Amerikanern, als vier Skinheads reinkamen. Der Ami fragte mich, wer die seien, woher die kommen. Ich erzählte ihm, daß die gegenüber hocken. Das hat ihm schon gereicht, er sah ängstlich aus.“

Kurz darauf fielen die restlichen Skinheads in die Klause ein, formierten sich in einer Reihe und bedrängten den farbigen Sportler, der am Tresenende saß, beleidigten ihn.

Die Amis holten die Jacken und gingen, die Skins formierten sich dahinter. Kurz darauf kamen sie wieder. „Sieg Heil!, denen haben wir's gegeben.“ Augenzeuge der Schlägerei war nur ein Mädchen aus Oberhof. „Wir hatten alle gehofft, daß nichts passiert“, sagt Manuel S. „Es waren nicht viele in der Klause, höchstens fünf Oberhofer. Und wir hatten selbst soviel Angst.“ Noch in der Nacht lief Manuel S. ins Hotel, wo die Sportler schliefen, und erkundigte sich beim Trainer, was passiert war. Nun setzt der 21jährige alles daran, die Skins aus Oberhof zu vertreiben. Denn eines möchte er nie wieder erleben: eine schlaflose Nacht, voller Selbstvorwürfe und Beschämung. Michaela Schießl, Oberhof