Freude am Schönen im Häßlichen

■ Ausstellung: Gustav Seitz' Plastiken und Zeichnungen im Barlach Haus

Über diesen gepriesenen wie gescholtenen Bildhauer und Zeichner sollten die Betrachter seiner Werke ins Grübeln kommen. An Gustav Seitz, der ein christlicher und sozialer, wenn nicht gar sozialistischer Humanist war, läßt sich erkennen, wie eine Werte-Willkür im Kunsturteil den Lebenslauf eines Artisten bestimmen kann. Das Ernst Barlach Haus würdigt mit der Ausstellung Gustav Seitz - Plastik und Zeichnungen den Künstler Seitz (1906 bis 1969), der zu oft in die Kriegs-Maschinerie von Kunst-Ideologie und Glauben geriet.

Die mit 45 Plastiken und Reliefs und 100 Skizzen und Zeichnungen überblickartig angelegte Ausstellung gibt Anlaß genug, nicht nur die Schau-Lust, sondern auch die Nachdenklichkeit über den Umgang mit dem zweimaligen Documenta-Teilnehmer zu fördern, der in Hamburg an der Kunsthochschule lehrte. Wer war dieser Gustav Seitz? Woher kam seine Kunst-Auffassung? Welchem Menschen- und Weltbild fühlte er sich verpflichtet? Warum liebte man ihn erst, um ihn dann in Ost und West in ideologischer Beckmesserei zu zerstückeln? Inwiefern bildete sich in seiner Entwicklung die Schizophrenie der gesellschaftlichen Entwicklung in Ost und West ab?

Ausgehend von der Frage „Was macht den Maler malen, den Dichter singen, den Bildhauer bilden?“ wollte er die Fragen an eine beginnende, sich selbst überholende Zeit vom künstlerischen Arbeiten her entwickeln: „Ganz abgesehen von der gesellschaftlichen Bindung der Porträtkunst, die gewiß im Massenzeitalter kein Vorbild oder Idealbild entwickeln kann, möchte ich das Problem ganz simpel vom Künstler betrachten.“ Der 1906 in Neckarau/Mannheim geborene Meisterschüler von Gerstel und Lederer wurde während der Nazi-Zeit in seinem Schaffen eingeengt. Von 1950 bis 1958 war der gegenständliche Bildhauer, dessen Brecht-Porträt und Statuetten seinen Ruhm begründeten, Mitglied der Akademie der Künste der DDR. 1958 wurde er Nachfolger von Edwin Scharff an der Kunsthochschule in Hamburg. Seine Reise nach China (1951) wirkte nachhaltig auf sein Werk: Die Tuschezeichnungen und Studienblätter gehören zum reizvollsten der graphischen Kunst in dieser Zeit und wirken mit ihrem klaren, einfachen und poetischen Lineament, das den Plastiker als Meister der raumfüllenden Umrißlinie zeigt, bis heute. Seine Biennale-Teilnahme 1968 wurde zum Skandal stilisiert. Jedoch hätten die Vorwürfe der damaligen Avantgarde eher den Juror und Kunsthistoriker Alfred Hentzen treffen müssen, der sich für eine traditionell gegenständliche Kunst entschieden hatte.

Daß jedoch Seitz in die Mühlen ideologischer Kunst-Kämpfe geriet, ist tragisch. Sein Verbrechen bestand darin, eine durch das Dritte Reich unterbrochene, künstlerische Linie der Gegenständlichkeit beizubehalten, die sich auf so bedeutende Künstler wie Maillol, Despiau, Lehmbruck und Giacometti berufen konnte. So wie es Matare, den Lehrer von Beuys, um das Wesen des Tieres als Opfer ging, wollte Seitz das Wesen des Menschen als Opfer in all seiner Tragik und Hoffnung bilden. Die durch den Faschismus desavouierte Linie gegenständlicher Kunst, hatte doch in Lehmbruck und Brancusi vor dem Faschismus Meister gefunden, deren Kunst wegen faschistoid-ideologischer Mißdeutungen in Mißkredit geraten war. Nach 1945 wurden alle realistisch arbeitenden Künstler in einen Topf geworden. Zu unrecht, wie die Ausstellung zeigt: Die Porträts von Bloch, Brecht, Picasso oder Heinrich Mann weisen Seitz als einen Meister der Porträtplastik aus. Seine Sensibilität bei der Suche nach klaren Formen und architektonischer Stimmigkeit läßt sich als ein Wissen um Gesichte und Gewichte bezeichnen. Besonders im Spätwerk werden die schwebenden Gewichtsmassen deutlich und bilden neben den Porträts eine Transformation des Klassischen. Zeitlose Werte waren es, die ihn trieben: Glaube, Liebe und Hoffnung mit seinem Bild des Menschen und der Natur zu verkünden, bedeutete für ihn eben auch, den Menschen in seiner Bedürftigkeit darzustellen. Als Realist konnte er deshalb ganz im Sinne des Hegel-Schülers Rosenkranz eine Ästhetik des Häßlichen vertreten, die die „ganze Vielheit der menschlichen Seele über alle gesellschaftliche Misere ... hinaus“ (Seitz) darzustellen suchte.

Die hervorragende Auswahl der Ausstellung läßt dennoch einen Wermutstropfen zurück: Rundumansichtige Skulpturen sind gegen die Wand gestellt und es wurde kein aktualisierter Katalog, der den Menschen Seitz als „Wahrheit zwischen den Stühlen“ zeigt, erstellt. Seitz selbst sprach von der Liebe zum Objekt.

Gunnar F. Gerlach

bis 14. November