Wildwest in Ostfriesland

■ Sozialer Druck, Drohungen und viel Geld haben die Ditzumer Emsfischer zum Nachgeben bewogen / Jetzt klagen die nächsten Fischer

„Das ist eigentlich unglaublich — als ob man eine ganze Autobahn baut, um alle zwei Jahre da einen LKW fahren zu lassen“, empört sich Holger Wesemöller vom „World Wide Fund for Nature“ (WWF) Bremen. Was den Umweltschützer so aufbringt, ist die Praxis der Papenburger Meyer-Werft, vierzig Kilometer stromaufwärts von Emden riesige Schiffe zu bauen. Damit die Pötte nicht im Schlick der Ems hängenbleiben, muß der Fluß regelmäßig ausgebaggert werden muß. Mit Unterstützung von WWF und anderen Umweltorganisationen hatten acht Fischer aus dem ostfriesischen Ort Ditzum an der Emsmündung gegen das Planfeststellungsverfahren geklagt und zur Überraschung aller Recht bekommen: Ende September hatte das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg einen Baustopp verhängt.

Die Fischer unter sozialem Druck der ganzen Region

Seit dieser Zeit herrschte Hochspannung in derRegion an der Ems: Die Werft steht mit der Auslieferung eines neuen Kreuzfahrtschiffs mächtig unter Zeitdruck und sah bei einer weiteren Verzögerung dem Aus für geplante Folgeaufträge entgegen. Die mögliche Schließung der Werft, der Niedergang der Region um Papenburg, das große Geld, wüste Drohungen und am Rande ein Schuß Ökologie waren die Zutaten in einem explosiven Gemisch an der Ems. Der soziale Druck aus der näheren Umgebung, massive Drohungen und zum Schluß ein Haufen Geld stimmten die acht Fischer um: Anfang der Woche zogen sie ihre Klagen zurück.

„Was meinen Sie, was da in Ditzum los war,“ sagt Wesemöller. „Das waren massive Repressalien der Werftarbeiter: den Fischern wurde anonym in Briefen und nächtlichen Telefonanrufen gedroht, ihre Häuser anzuzünden und den ganzen Ort niederzubrennen. Der Hafen sollte belagert werden, die Ehefrauen der Fischer wurden in den Geschäften angepöbelt.“ Wildwest in Ostfriesland: Den nächtlichen Terror will auch Anäus Bruhns, Sprecher der Fischer in Ditzum, nicht leugnen, aber für ihn war „das entscheidende Moment“ der soziale Druck im Dorf und in der Region: die Fischer wollten nicht für den Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen verantwortlich sein, sagen sie. In Ditzum selbst, einem 1000-Seelen- Dorf, hängen allein 40 Arbeitsplätze eines Innenausstattungsbetriebs von der Meyer-Werft ab.

Versüßt hat ihnen die Entscheidung ein Vertrag mit der Meyer-Werft, über deren Details

„Das größte überdachte Trockendock der Welt“ - 40 Kilometer vom Meer entfernt Foto:Meyer-Werft

striktes Stillschweigen gewahrt wird: Meyer wird die Ditzumer beim Neubau von fünf neuen größeren Kuttern „finanziell unterstützen“, mit denen sie in anderen Gebieten fischen können. Die Rede ist von einer Million Mark pro Fischer, die Meyer für die Rücknahme der Klage zahlt. Inzwischen sind auf den fahrenden Zug auch andere Emsfischer aufgesprungen: Nach der Regelung für die Ditzumer haben nun auch Emsfischer vom anderen Ufer aus Petkum Klage eingereicht. Die Klagen der Umweltverbände, sind noch anhängig, doch ihnen werden nur geringe Chancen eingeräumt.

Erleichtert sind die Fischer, aber nicht zufrieden, obwohl sie zugeben, durch die Einigung mehr Geld als durch eine regelgerechte Entschädigung zu bekommen. „Es ist eine Basis zum Weiterleben“, sagt Bruhns. Sind die Ditzumer mit Zuckerbrot und Peitsche zur Einigung bewegt worden? „Zuckerbrot will ich nicht sagen, lieber Notbrot.“ Wie er das Geld für die Ausrüstung des neuen Kutters aufbringen soll, weiß Jan Bruhns, einer der Kläger, noch nicht: wegen der EG-Bestimmungen zur Flottenreduzierung darf er seinen alten Kutter nicht verkaufen. Auch ein größerer würde ihm eigentlich nicht genehmigt: „Aber das ist Meyers Sache.“

Die Entscheidung des OVG Lüneburg war eine Überraschung für Fischer und Werft. Im Poker um die Emsvertiefung

hier das Luftfoto der Werft

sollte ales so laufen wie in den letzten 15 Jahren: Planfeststellung, Genehmigung, Ausbaggern. Die Ems, ursprünglich 4,50 Meter tief, wurde für die Riesenpötte von Meyer Stück für Stück auf letztlich 7,30 Meter vertieft. Immer wurde die Baggerei mit der wirtschaftlichen Bedeutung der Werft begründet. Fischer hatten da in den Augen der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Aurich, die das Verfahren leitet, kein Mitspracherecht. In Gutachten wurde um die ökologische Bedeutung des Eingriffes gestritten: „Wir merken das seit 1984, seit die Buddelei angefangen hat“, sagt Jan Bruhns. „Wo dauernd gebuddelt wird, hält sich kein Fisch auf. Die sind doch nicht blöd.“ Die Politik der Auricher Behörde fand vor den Augen des OVG keine Gnade: es verhängte den Baustopp, weil in dem Verfahren die Belange der Fischerei nicht ausreichend abgewogen worden waren.

„Eine gute Werft, aber leider am falschen Ort“

Von den ökologischen Folgen der Vertiefung ganz zu schweigen: der Fluß gerate „außer Rand und Band“ befürchtet der WWF und führt die Gefahren auf: Durch die höhere Fließgeschwindigkeit könnten die Deiche brüchig werden, der Grundwasserspiegel sinken und die Bauwerke im Strom Schaden nehmen.“Die hydrologischen Gutachten sind eine Farce“, meint Wesemüller.

Die Meyer-Werft ist für ihn eine „gute Werft am falschen Ort“: Werften für große Schiffe gehörten einfach ans tiefe Wasser und nicht ins Hinterland. Die Umweltschützer schlagen vor, nach der „Orania“, die jetzt in Papenburg auf Stapel liegt, für die großen Bauaufträge der Werft einen anderen Standort zu suchen: „Meyer 2 in Emden“. Das koste Geld, aber bisher stecke der Steuerzahler jedes Jahr Millionen in die Baumaßnahmen, um die Ems auf ihrer Tiefe zu halten. „Über die letzten 15 Jahre sind 500 Millionen an Steuergeldern in das Unternehmen gesteckt worden. Das kriegt keine normale Werft.“

Die Meyer-Werft ist keine normale Werft. Gegründet 1795 und in sechster Generation in Familienbesitz, bietet sie im strukturschwachen Emsland 1800 direkte Arbeitsplätze, von denen weitere 2500 in Zulieferbetrieben abhängen. Im weltweit größten überdachten Trockendock bauen die Papenburger Kreuzfahrtschiffe, mit einem allseits anerkannten Know-how. Die Auftragsbücher sind voll, die Werft ist bis 1997 ausgelastet und wirtschaftlich gesund — selten genug für eine deutsche Großwerft. Im Emsland ist es ein offenes Ge- heimnis, daß der Standort Papenburg letztlich eine politische Entscheidung ist — der ehemalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters, der seinen Wahlkreis hier hat, habe stets seine „schützende Hand“ über die Werft gehalten.

„Wir wollen nur Schiffe bauen, das ist alles“

Das streitet Jörg Krüger, Pressesprecher des Unternehmens, vehement ab. Man bekomme Geld wie alle anderen Werften, nicht mehr. „Wir wollen nur Schiffe bauen, das ist alles“, erklärt er. Eine Zukunft habe die Werft aber nur, wenn sie ihre Pötte weiterhin über die schmale Ems in die Nordsee schicken kann — das Baggern eingeschlossen. Die Idee eines Alternativstandortes behagt ihm gar nicht: dann sei es mit dem Produktivitätsvorteil der kurzen Wege vorbei. Dann lieber Baggern — auch deshalb, weil die Baumaßnahmen auf der Bundeswasserstraße Ems das Bundesverkehrsministerium zahlt, und nicht die Meyer-Werft, die sich die 35 Millionen für die 7,30-Meter-Vertiefung spart. Umweltschützer dagegen wollen von Gutachten der Schiffahrtsdirektion erfahren ha

ben, daß die Baggerei nicht nur die Ökologie des Flusses, sondern auch seine Qualität als Wasserstraße ruiniert.

Finanziell ist auch das Land Niedersachsen in Papenburg gebunden: Für die „Oriana“, ein Luxusdampfer von 260 Metern mit einem Wert von 600 Mio Mark, die bereits halbfertig im Dock sitzt, hat die Landesregierung eine Bürgschaft von 500 Millionen übernommen. Das Schiff muß bis März 1995 ausgeliefert sein. Der Werft sitzt der Zeitdruck im Nacken.

Vor diesem Hintergund reagieren Werft, Belegschaft und die Stadt Papenburg allergisch auf Kritik, die weitere Verzögerungen bedeuten kann. Ungeduldig wird der Betriebsratsvorsitzende Peter Bloem, der wegen seiner

Ein Riesenschiff für die schmale EmsFoto: Meyer-Werft

guten Beziehungen zum Management des Familienbetriebs als „zweiter Geschäftsführer“ gilt, wenn von möglichen Alternativen zur Ausbaggerung die Rede ist: Ausnutzung der Springtiden, Bau eines Stauwerks oder Aufschwimmen des Schiffes per Pontons: „Alles unpraktikabel“, sagt Bloem. Alle Versuche hätten ergeben, daß die „Oriana“ auf Pontons nicht mehr manövrierfähig sei. „Alle Lotsen und auch die Versicherungen haben gesagt, das geht nicht“, meint Bloem. Der Betriebsrat hält sich zugute, eine Eskalation der Stimmung gegenüber den Emsfischern verhindert zu haben. „Die Entscheidung kam auf des Messers Schneide, sonst wären mir manche Kollegen aus dem Ruder gelaufen. Seit drei Jahren leben wir unter dem Druck, daß unsere Arbeitsplätze nicht sicher sind. Die Kollegen kriegen von der Bank keine Kredite, weil alle wissen, wie unsicher das hier ist. Bei der ganzen angestauten Wut und Angst ist es abenteuerlich zu erwarten, daß man hierherkommen und akademisch mit den Leuten reden kann.“

„7,30 Meter, oder Papenburg ist pleite“

Über die ganze Frage der Emsvertiefung und mögliche Alternativen dazu sei aber in Papenburg überhaupt nicht offen geredet worden, kritisiert Hans Walker, der für die Grünen im Stadtrat von Papenburg sitzt. „Es sind nur die einzelnen Maßnahmen geprüft worden und keine Kombination davon.“ Die Grünen in Papenburg sitzen zwischen Baum und Borke: einerseits wollen sie möglichst den Eingriff ins ökosystem Ems verhindern, andererseits wollen sie nicht für eine soziale Katastrophe in der Region verantwortlich sein. Und die würde kommen, so Walker, wenn die Werft dichtmachen müßte.

Der Grüne kritisiert in Papenburg vor allem die Engstirnigkeit bei der Diskussion. Wer Argumente gegen die „Meyer ist Papenburg, Papenburg ist Meyer“- Doktrin vorbringe, werde ausgegrenzt und nicht mehr ernstgenommen. Im schlimmsten Fall würden UmweltschützerInnen massiv bedroht und mit Telefonanrufen terrorisiert. Der CDU- dominierte Stadtrat, die katholische Kirche, die Lokalpresse — alle Seite an Seite mit Meyer. „Alles hat sich verkürzt auf die simple Behauptung: „7,30 Meter, oder Papenburg ist pleite“. Da kann man nicht mehr diskutieren.“ In der Gemeinde, die immer schon dunkelschwarz war, habe man mit dem Stigma eines „Andersdenkenden“ einen schweren Stand. Walker hat das selbst erfahren, als er vor einem Jahr öffentlich gegen die Mercedes-Teststrecke im Moor bei Papenburg Stellung bezog: „Da bekam ich wüste Drohungen und Beschimpfungen zu hören, zum Beispiel, daß man mich im Moor aufhängen wollte.“

Walker plädiert für die Emsvertiefung — wenn es keine Alternative gibt. „Hier hängt das Überleben einer ganzen Region dran“, sagt er. Unruhig wird er aber beim Gedanken an die Zukunft: „Wer garantiert denn, daß es bei 7,30 Meter aufhört?“ Werftchef Bernard Meyer beteuert: „Bei 7,30 ist Schluß. Wir bedienen mit unseren Schiffen ein Marktsegment, das gar nicht tiefer gehen kann.“ Walker dagegen ist skeptisch: „Wer garantiert, daß die Werft in zehn Jahren nicht für ein Marktsegment mit mehr Tiefgang produziert?“ Auch die Ditzumer Fischer sind mißtrauisch: „Meyer wollte uns nicht schriftlich geben, daß mit 7,30 endgültig Schluß ist.“ Auch für den WWF ist klar, daß sich Meyer „so flexibel am internationalen Markt zeigen muß, daß er eine solche Einschränkung nicht unterschreiben kann.“ Die Grenze sind derzeit jedenfalls 9 Meter — so tief liegt der Emstunnel bei Leer.

Bernhard Pötter