Arbeiter bei VW kochen — vor Wut

■ „Wir wissen ja nix" / Vier-Tage-Woche in der Beliebtheit ganz unten / Momentaufnahmen vor dem Werkstor

Hannover“Wenn ich 600 Mark weniger im Monat habe, muß ich mir 'ne Stelle nebenbei suchen.“ Matthias arbeitet bei VW in der Lackierung und er schimpft. „Preissteigerungen, steigende Steuern, Solidaritätsabgabe“, er trinkt einen Schluck „Herrenhäuser-Bier“ aus der Dose. „Ich hab vor drei Jahren gebaut und muß Frau und Tochter ernähren. Zur Not würde ich Schwarzarbeit oder sonstwas machen. Von irgendwas muß man ja leben. Zum Spaß arbeitet hier ja keiner.“ Bei VW in Hannover geht die Angst um, was die Zukunft dem angeschlagenen Autoriesen bringen wird.

„Die Stimmung unter den Kollegen ist mies. Wir haben alle ein flaues Gefühl.“ Michael Höpfner arbeiet seit acht Jahren bei VW in Hannover-Stöcken. Er wundert sich über die plötzliche Kehrtwende der Betriebsleitung: „Gegen die 35 Stunden Woche wettern die seit Jahren. Jetzt soll plötzlich die 29 Stunden Woche Entlassungen verhindern.“ Etwa 15.000 Menschen arbeiten im Werk und produzieren ein Transporter-Modell und den T4, den Nachfolger vom alten „VW- Bus“.

„Wir wissen ja nix. Alles steht in der Zeitung, aber im Betrieb weiß keiner genaues.“ Für Heinz, seit 16 Jahren im Werk, ist das ganze „ein einziger großer Scheißhaufen. Statt mit sechs Mann stehen wir jetzt mit vier Mann pro Arbeitsgruppe am Band. Aber die Stückzahl ist geblieben. Wir haben soviel zu tun, daß man –ne Ablösung braucht, wenn man pinkeln muß.“ Das Gerede von Massenentlassungen hält er für kalkulierte Panikmache: „Von wegen zuwenig Arbeit. Die haben hier ja Kurzarbeit angemeldet und dann wieder gestrichen, soviel haben wir zu tun. Außerdem gibt es in vielen Abteilungen noch Überstunden.“

„Erstmal abwarten“ ist die Devise von Wilhelm, seit 27 Jahren Arbeiter im Preßwerk. Einen längeren Urlaub findet er besser als eine Vier-Tage-Woche. Überflüssig sind nach seiner Meinung „ein Haufen Krawattenträger. Bei denen sollte man bei Einsparungen anfangen.“ Er bezahlt eine Schachtel Marlboro am Kiosk vorm Werkstor und geht. Die Spätschicht beginnt um 13.36 Uhr. Der Kioskbesitzer Michael Sklavenitis steht seit 12 Jahren fast täglich hinter seinem Tresen. Bier, Zeitungen und Zigaretten verkauft er an die Kollegen von VW, für die er manchmal eine Art Beichtvater ist. „Die Wut und Aufregung im Betrieb geht weiter in die Familien“, erzählt er. „Das geht dann bis zur Scheidung, wenn das Geld nicht mehr reicht“, haben ihm Stammkunden nach dem zweiten oder dritten Bier verraten.

„Ich müßte mein neues Auto verkaufen, wenn es tatsächlich 20 Prozent weniger Geld gibt“. Domenico, Kraftfahrzeugmechaniker und erst knapp zwei Jahre im Werk, glaubt, man müßte die Wirtschaft ankurbeln und dafür seien niedrigere Löhne Gift. „Wenn wieder mehr Autos gekauft werden, dann geht es VW auch wieder besser“, sagt er.

Tabur ist vor 14 Jahren aus der Türkei nach Stöcken gekommen. Er will „wegmachen, zurück in die Türkei“. Aber günstige Abfindungsangebote gebe es zur Zeit nicht, deshalb werde er abwarten. Auch Ismet, seit 22 Jahren bei VW am Band, überlegt in die Türkei zurückzukehren. „Ich zahle 1000 Mark Miete. Wenn ich 500 Mark weniger verdiene, muß ich viel sparen.“ Er will zurück in eine kleine Stadt nahe Istanbul. Seine Tochter und sein Sohn, beide in Hannover geboren und aufgewachsen, wollen bleiben.

„Die da oben werden sich wundern. Bei der nächsten Wahl wähle ich die Republikaner. Einfach aus Trotz.“ 59 Jahre alt ist Friedrich, 23 Jahre davon bei VW. „Bislang habe ich immer SPD gewählt. Aber die Gewerkschaft tut ja nix“, sagt er und ballt seine Faust. Im Frühjahr hat er das Angebot abgelehnt, in Vorruhestand zu gehen. 90 Prozent des Nettolohns hätte er dann bekommen, immerhin. Besser wurde es nicht. „Und jetzt soll ich mit 80 Prozent zufrieden sein und auch noch arbeiten?“ Das kann ihm keiner erklären. „Die werden sich noch umgucken, die Herren da oben“, spricht er, trinkt seine Dose „Herri“ aus und geht weiter zur U-Bahn.

Konrad Baer