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Im Reich der Kunstpause

■ Schillers „Maria Stuart“, um einige Mätzchen und viele Schweigeminuten bereichert

Wie um zu beweisen, daß niemand die Kunst größer schreibt als er, schreibt Heyme, wenn er über die Kunst schreibt, mit Vorliebe über die „KUNST“, und wenn er über das Theater schreibt, über das „THEATER“. So kann man's wieder einmal lesen im Programmheft, für das er den Leitartikel zusammengequast hat, und wer dann noch mag, sieht im Goethetheater, daß Heyme auch den dazugehörigen Inszenierungsstil beherrscht: In seiner „Maria Stuart“ müssen die Schauspieler alleweil ihre Texte vortragen, als seien sie in Großbuchstaben gedruckt.

Das ist schon auch eine Kunst, diese Zudringlichkeit des Sinns. Bloß wenn man ein Schillerstück aufführt wie eine Andacht für Schillerzitate, dauert es naturgemäß ein wenig länger. Das Premierenpublikum am Donnerstag jedenfalls konnte sich am Ende vor Ermattung kaum mehr zum Applaus aufraffen. Es hatte dreieinhalb schwere Stunden durchlebt, was wahrscheinlich ein kleiner Rekord in der Aufführungsgeschichte des Werkes ist, aber sonst kein Wunder, denn Heymes Fassung besteht großteils aus Kunstpausen, wo die Schauspieler immerzu herumstehen, bis die jeweilige Bedeutsamkeit der Schillerworte verhallt ist.

Das ist dem Fortgang des Dramas natürlich nicht günstig. Da es alle paar Augenblicke in Schweigen endigt, muß jedesmal die Maschinerie des Verhängnisses aufs neue angeworfen werden, bis dann gleich wieder allesamt verharren wie vom Donner ihrer eigenen Rede gerührt, der doch das Publikum hätte erschüttern sollen. Dieses aber saß zunehmend ratlos, denn kaum hatte es sich all dem angestrengten Pathos anbequemt, schlug die Stunde der Regieanweisungen.

Da zeigte sich, daß der Sound der Erhabenheit weniger mit Respekt vor dem Stück zu tun hatte als mit Heymes Drang, etwas herzumachen, was er dann wieder regiemäßig mit viel Hü und Hott parodieren, überdrehen, bremsen, beschleunigen, bespötteln oder sonstwie beharken kann. Da es der Wille des Regisseurs war, kullerte die Königin schon mal auf dem Sofa herum, hopste Mortimer dem Grafen von Leicester auf den Schoß, leierte der Hofbeamte Davison nur noch eintönig vor sich hin. Lauter unerfindliche Rätselchen, mit denen sich der Publikumsverstand mit links entmutigen läßt, ehe er einem doch noch draufkommt.

Wie nahe liegt die Pathospose bei Schillern, und wie schnell ist das alles wahllos zu irgendwelchen Künstlichkeiten stilisiert, wenn's denn überhaupt Absicht war. Die Bühne wenigstens lag planmäßig weit und leer; kalt ragte die Wand, und machtlüstern gleißten die Spiegel, wie es nun einmal sein muß, wenn ein Stadttheater den Entfremdungsbegriff möbliert. Da fehlt auch nimmer die Couchgarnitur, nur daß es diesmal dem Ausstatter Wolf Münzner gefallen hat, gleich dreißig laufende Meter davon auf die Bühne zu bringen.

Die Schauspieler haben, wo gar kein Leben sein soll, ein schweres Amt. Sie dürfen gar nichts, und wenn, müssen sie gleich wieder in die Kunstpause. Manchmal regt sich dennoch ein bißchen: Cornelia Kempers zum Beispiel als die englische Königin Elisabeth läßt sich vor unsern Augen ihre Macht verzweifelt viel kosten; zu den paar schöneren Szenen gehört ihre Begegnung mit der Rivalin Maria. Da ahnt man, wie grausig klein die Welt sein muß, selbst wenn sie von Schiller ist, daß sie nicht Platz hat für beide.

Mit der einen aber, welche schließlich entweicht in die ewige Seligkeit, mit dieser Maria, welche doch imstande wäre, für eine Passion ihr ganzes Schottland auf den Putz zu hauen, mit ihr hat Heyme schon wieder gar nichts mehr anfangen wollen. Unbedingt mußte er die Rolle mit Marina Matthias besetzen, die für derart schwertragödische Brisanz so gar nicht geboren ist. Mit immerzu blasierter Kühle spielte sie wie vor lauter Schillerstatuen; und selbst ihr größtes Weh und Ach behielt etwas Klassizistisches. Mit ihr hat wahrhaftig der Regisseur nach der „Tochter der Luft“ ein weiteres Frauenzimmer den Belangen seiner Imposanz geopfert und, wie man sieht, schon wieder für nichts. Manfred Dworschak

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