Der „Knochen“ löst ab sofort die D-Mark ab

■ Heute wird in Prenzlauer Berg für zwei Monate eine Parallelwährung eingeführt / 23 Läden nehmen Kunstgeld an

Neues Geld gibt es ab kommender Woche am Prenzlauer Berg. Rund sechzig Künstler, darunter Blalla W. Hallmann, Via Lewandowsky, Rita Hensen, Ryszard Vasko, Niko Tenten, Urs Jaeggi und A.R.Penck, beteiligen sich die nächsten Tage an einem Aktionsexperiment der Galerie O2 in der Oderberger Straße: „Künstler machen Geld“. Mit den vervielfältigten Kunst-Geldscheinen soll zwei Monate lang im Kiez ein paralleler Währungskreislauf installiert werden. Die neue Währung wird bislang in 23 Geschäften rund um den Kollwitzplatz akzeptiert werden: Dort kann das „Knochen“ genannte Kunstgeld in Waren umgetauscht werden.

Erwerben kann man beispielsweise Schallplatten/CDs (bei OM- Sounds, Schall&Rauch), Bücher/ Zeitschriften (Café Kyril, Antiquariat Scherfling), warme Mahlzeiten (in den Lokalen Brotfabrik, Uebereck, Pasternak), alkoholhaltige Erfrischungsgetränke (Kommandantur, Tacheles, Zur Schildkröte u.a.), Kolonialwaren (Spätkauf Laßner), DDR-Produkte (ostkost) und auch Kultur (Benno Ohnesorg Theater).

Das „Knochen“-System basiert auf der Schwundgeldtheorie Silvio Gesells aus den zwanziger Jahren. Damals wurde die Idee eines eigenen Geldkreislaufs erfolgreich in mehreren von besonders hoher Arbeitslosigkeit betroffenen Gemeindeverwaltungen Österreichs und Deutschlands ausprobiert. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gab es kurzzeitig im Landkreis Vogelsberg bei Frankfurt eigenes Geld – und auch Briefmarken.

Heute wird beispielsweise in über 200 krisengebeutelten englischen Kommunen mit eigenen Parallelwährungen gewirtschaftet. Dabei werden sogenannte „Lets“ (Local Exchange Trading Systems) verwendet. Diese „Zweitwährung“, mit der nicht nur Waren und Dienstleistungen, sondern sogar Arbeitslöhne bezahlt werden, hat den Vorteil, daß sie unter maximaler Ausnutzung der eigenen Ressourcen der jeweiligen Gemeinde funktioniert und so quasi mit der – legalisierten – Grauzone zwischen Schwarzarbeit und Nachbarschaftshilfe ein zweites Bruttosozialprodukt erwirtschaftet. Dies geschieht jedoch stets in einem regional begrenzten (Kiez-)Rahmen. „Eine landesweite Ausdehnung der Systeme würde uns genau dort wieder hinbringen, wo wir gerade hergekommen sind: Der Reichtum würde dann von einem zentralen Machtblock abgeschöpft, und die kleinen Gemeinden hätten wieder das Nachsehen“, so eine der „Lets“-Pioniere, Liz Shephard.

Der Prenzelberger „Knochen“ ist ein sowohl soziales als auch künstlerisches „Projekt“ der Gruppe „Ioä Bsaffot“ (Ganoven- Rotwelsch für „gefälschte Papiere“), die auch die Rolle der „Dezentralbank“ spielen wird. Begleitet wird die Aktion in den Räumen der Galerie O2 vom 6. bis zum 10. November mit Vorträgen zum Thema Geld. Sprechen werden unter anderem Elmar Altvater, Jörg Burkhard und die „Knochen- Girls“ (jeweils ab 20 Uhr). Referieren wird voraussichtlich auch Albert Sch., ein badensischer 68er- Rätekommunist, der heute Bankmanager in einem Berliner Kreditinstitut ist, zum Thema „Hyperinflation und Defloration“. Harun Farocki zeigt seinen Geld-Film „Was ist los?“. Den Eröffnungs- Festakt am 10. November bestreitet Christoph Tannert vom Kreuzberger Künstlerhaus „Potemkin“. In der Westberliner Akademie der Künste wird im nächsten Monat im Rahmen der „Labyrinthe“ die Ausstellung „Währung der Räterepublik Meckelenburg“ eröffnet: Gezeigt wird in der DDR geschaffenes „Kunstgeld“ von Horst Hussel (Scheine), Horst Sagert (Münzen) und Lothar Reher (Bank) – aus den Achtzigern. Helmut Höge