Gesten sagen mehr als viele Worte

■ ...aber oft erweisen sich vertraute Zeichen im Urlaubsland als Fehlgriff

Nein, Ibiza sollte es dieses Jahr nicht sein. Hansmanns waren auf Lanzarote und die Schwiegereltern auf Kreuzfahrt im Mittelmeer. Das galt es zu überbieten: mit unentdeckten Paradiesen und Pionierromantik. Dazu genügt es nicht, seine drei Wochen auf einem Teutonengrill abzuliegen. Wir suchten den Geheimtip und fanden ihn. Ein Freund riet hinter vorgehaltener Hand zum Inselchen Anafi in der Ägäis. Gebucht, geflogen! Nun saßen wir auf unserem idyllischen Eiland in einer touristenfreien Taverne. Klaglos verzehrten wir ein klägliches, aber authentisches anafisches Mittagessen. Auf eine Frage, die vermutlich „Schmeckt es?“ hieß, nickten wir dem untersetzten Wirt tapfer zu und kreisten Daumen und Zeigefinger zum Zeichen höchster Zufriedenheit. Da knallt uns der Mann die Rechnung hin und funkelt uns mit seinen kleinen Augen böse an.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Wieder daheim, ernteten wir statt Mitgefühl nur Häme. „Weiß doch jeder“, prahlt Hansmann, daß Nicken bei den Griechen ein Nein bedeutet und der Fingerkreis eine obszöne Beleidigung. Wir könnten froh sein, erzählt er, daß wir dem Wirt nicht die gespreizte Hand zur Besänftigung entgegengestreckt hätten. Das nämlich wirke in Griechenland so, wie wenn man einem halbstarken Saufbold das Bier über die Hose kippt.

Tja, wer sich aus dem Schutz deutscher oder zumindest fest in deutscher Hand befindlicher Urlaubsorte hervorwagt, ist gegen derlei nicht gefeit. Immerhin stehen wir mit solchen Fauxpas nicht allein: In England erregte kürzlich ein deutscher Werbespot Befremden, weil darin ein Mann zwei Bier bestellt, indem er dem Wirt Zeige- und Mittelfinger zeigt. Das sollte nebenher „Victory“ symbolisieren, tat es aber nicht, weil der Handrücken nach außen statt nach innen wies. So bedeutete es dasselbe wie hierzulande der erigierte Mittelfinger oder der ausgestreckte Daumen in Australien. Tramper, die dort nicht am Straßenrand Wurzeln schlagen wollen, winken mit dem Zeigefinger.

Andere Länder, andere Sitten, und die wenigsten können daraus Kapital schlagen wie Hansmann, der aus Lanzarote die Erfahrung mitbrachte, daß man die ledigen Frauen an weißen Leinenhüten erkenne, wogegen die verheirateten Strohhüte trügen – ein immerhin praktischer Brauch.

Die meisten treten, wie wir, unbedarft ins Fettnäpfchen. Doch wir befinden uns in alter Tradition: Schon die Missionare waren über das internationale Benimm nur unzureichend informiert, sie begründeten die Tradition schlechter Reisevorbereitung. Entsetzt fanden sie die weiblichen Angehörigen westafrikanischer Stämme nackt und drängten ihnen Kleider auf, ohne zu ahnen, daß damals nur verrufene Frauen angezogen sein mußten. Einen Kulturschock erlebte, wenn man der Überlieferung glauben darf, ein Missionar, der, weil er beim Zähneputzen aus dem Mund schäumte, von Eingeborenen des südamerikanischen Dschungels für besessen gehalten wurde und die Austreibung des bösen Geistes nicht überlebte. Noch vor wenigen Jahren mußte ein deutscher Abenteurer um sein Leben fürchten, weil der die Wasserreserven eines Kopfjägerstammes für sein Bad verbrauchte.

Da sind wir noch gut davongekommen. Schwiegervater hätte sich in Venedig beinah ein Bußgeld eingehandelt, weil er trotz Warnung des Reiseleiters partout seine Shorts und ein halboffenes Hawaii-Hemd tragen wollte. Genervt vom entblößten Touristenfleisch auf ihren Straßen haben die Venezianer seit 1992 sittenwidrige Kleidung unter Strafe gestellt. Überhaupt nicht anstößig sei dagegen, wenn Männer Händchen halten, sich küssen oder umarmen. Der herzliche Gruß habe einstmals dazu gedient, sein Gegenüber unauffällig nach Waffen abzutasten. Nicht weniger Mißtrauen steckt hinter dem germanischen Handschlag. Die festgehaltene Hand konnte nicht zum Schwert greifen.

Was aber, wenn man die Spielregeln nicht kennt? Überlegt man einmal, wie viele Einheimische jede Saison grundlos verprellt werden, vergeht einem die Lust, als Provokateur wider Willen durch die Welt zu reisen. Nächstes Jahr geht es wieder nach Ibiza. Da weiß man wenigstens, wen man beleidigt. Michael Allmaier