Die Monopoly-Neurose

Der richtige Umgang mit Moneten füttert die Ratgeberkultur  ■ Von Ulla Küspert

Udo „Lindi“ Lindenberg (West) nuschelt hitverdächtig, er „wäre so gern im Club der Millionäre“, und die „Prinzen“ (Shooting-Stars Ost) träumen a cappella den Monopoly-Traum: „Geld, Geld, Geld – ach, wär' ich doch ein Millionär, dann wär' mein Konto niemals leer...“ Bingo! Wer wünschte sich das nicht? Tatsache ist: Die meisten von uns geben mehr Geld aus, als sie haben. Jeder zweite deutsche Privathaushalt – statistisch gesehen jeweils 2,3 Personen – steht heute mit 18.400 Mark an reinen Konsumkrediten in der Kreide. Was für Haus oder Eigentumswohnung abgestottert werden muß, ist dabei nicht mitgerechnet. Ebensowenig sind Miet-, Strom-, Gas-, Heizungs- und Telefonschulden oder auch vordatierte Versandhaus- und sonstige offene Rechnungen der Marke „Kaufe jetzt, zahle später“ in dieser Schuldenzahl erfaßt. 1,5 Millionen von diesen Haushalten – das sind so viele wie in Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart zusammen – ist ihr Schuldenberg buchstäblich über den Kopf gewachsen und häufig in diesem Leben kaum noch zu abzutragen.

Auch wenn die Armut grassiert, das soziale Netz dieses unseres Landes immer löchriger wird und die Kundenrequirierung sowohl der Konsum- wie auch der gesamten Kreditwirtschaft von seriös bis windig immer aggressiver: Es sind keineswegs die Ärmsten, die, sozusagen zwangsläufig, am meisten Schulden machen, weder in absoluten Zahlen noch relativ gesehen. Darauf verwies das Statistische Bundesamt in seinem zuletzt 1991 komplett vorgelegten Zahlenwerk. Demnach sind Haushalte mit 5.000 Mark Monatseinkommen doppelt so oft in einem ernsten Dauerminus wie solche, die mit 1.200 Mark im Monat auskommen müssen. Außerdem steigt die Schuldensumme, so die Erfahrung der Statistiker, tendenziell mit der Höhe des monatlichen Einkommens.

Indizien dafür, daß es weniger an der Menge verfügbarer Moneten liegt, wohl aber am Verhältnis der Menschen zum Geld. Und das ist bei der Spezies Homo sapiens unabhängig von sozialer Stellung, Intelligenzquotient und Vermögen unrealistisch, um nicht zu sagen neurotisch – und zwar in jeder Richtung. Ein Phänomen, dem die New Yorker Psychotherapeutin Arlene Modica Matthews nachgegangen ist. Unter dem etwas albern eingedeutschten Titel „Warum ist bloß am Ende des Geldes immer noch so viel Monat übrig?“ sind die Erkenntnisse der Seelenärztin, die in Amerika auch Seminare und Workshops zum Thema Geld abhält, soeben auch bei uns in Form eines Taschenbuches erschienen.

Würden wir, so verdeutlicht die Therapeutin die Situation in einem utopischen Vergleich, wie einst Mr. Spock vom Raumschiff Enterprise, auf dem Planeten Vulkan leben, einem Ort, an dem nur die Logik regiert und Emotionen keinerlei Einfluß auf Denken und Handeln haben, führten wir sicherlich ein finanziell ausgeglichenes Leben. In Geldangelegenheiten könnten wir uns selbst vernünftige Befehle geben und uns ganz genau daran halten. Auf der Erde jedoch, so Matthews, „scheint jeder von uns unter einem ,Geldkomplex‘ zu leiden, einer Vielzahl untereinander verknüpfter psychischer Schwachstellen, die sich in scheinbar unsinnigen Verhaltenssymptomen widerspiegeln. Wenn es um Geld geht, erlöschen bei vielen mit einemmal Weitblick, Einblick, Urteilsvermögen, Kritikfähigkeit – so als hätten sie plötzlich einen ,Blackout‘.“ Das kann von leicht neurotischen Verschrobenheiten bis hin zur handfesten Paranoia reichen. Weil aber die individuelle Ausprägung des Geldkomplexes ein „Vergrößerungsglas für sonstige Aspekte der Persönlichkeit“ sei, spricht man nicht darüber. Geld, vielmehr der persönliche Umgang damit, ist ein Tabu.

Matthews Buch ist kein Ratgeber im üblichen Sinn. Sie offeriert keine speziellen Vorschläge etwa der Kategorie „Geld ist das Größte, deshalb sollte sich jeder soviel wie möglich davon verschaffen“, allerdings auch keine moralische Abhandlung über das „böse“ Geld. Statt dessen beschreibt die Analytikerin in interessanter Form und durch zahlreiche Beispiele aus ihrer Berufspraxis illustriert, wie sich jeder Geldkomplex in fünf Stufen aufbaut, die die menschlichen Entwicklungsstufen widerspiegeln: von der ersten, innerpsychischen der frühen Kindheit, wo die emotionalen Grundlagen (orale und anale Phase) gelegt werden, über die zweite, erziehungsbedingte, in der erstmals bewußt die Bedeutung des Geldes und die Beziehung der Eltern dazu wahrgenommen werden, zur dritten, vom sozialen Umfeld bedingten Stufe des Heranwachsens, in der die gesellschaftlichen Geldbotschaften eine Rolle spielen. In Stufe vier entwickeln Jung-Erwachsene ihre Reaktionen auf die modernen Techniken der Geld- und Kreditinstrumente, während in der fünften Stufe Konsumdenken und Massendruck Persönlichkeit und Geldverhalten beeinflussen. Damit bietet Matthews den Lesern nicht weniger als die Chance, sich selbst zu durchschauen: „Jemand, der versteht, warum er in ständiger Sorge um seine finanzielle Situation lebt, kann auf diese Weise etwas über sein Selbstwertgefühl, seine Neidgefühle oder auch seine Furcht vor Abhängigkeiten erfahren. Jemand, der sich immer wieder in den finanziellen Abgrund treibt, könnte erkennen, warum er zu dieser Art der Selbstzerstörung neigt, und vielleicht sogar eine Möglichkeit finden, von diesem destruktiven Weg abzukommen.“ Einige Fragenkataloge im letzten Teil des Buches helfen bei der Selbstprüfung.

„Money makes the world go round“, ist eben nur die halbe Wahrheit. Wie sehr die Einstellung zum Geld, laut Matthews, „nur zu oft auf subjektiven Ansichten und Gefühlen beruht“, bestätigte in diesen Tagen unfreiwillig deutlich einer, der seine Erfahrungen aus ganz anderen Quellen schöpft: der Präses der Hamburger Handelskammer und Vorstandsvorsitzende einer großen Brauerei, Klaus Asche. Im Zusammenhang mit dem Koalitionsgezerre an der Elbe nach seinem Mißtrauen gegenüber den Grünen und ihrem Verhältnis zu Geld und Wirtschaft befragt, sagte Asche: „Die Wirtschaft wird zu 50 Prozent von Psychologie bestimmt. Da sind Unsicherheiten tödlich.“ Daß der Bauch in so hohem Maß die Welt regiert und nicht der Kopf, wird von Hauptakteuren selten öffentlich so offen ausgesprochen.

Mit der Abkehr von der Tausch- Gesellschaft, wo die zu tauschenden Gegenstände als „Zahlungsmittel“ buchstäblich greifbar waren und sein mußten, trennten die Menschen Wert und Symbol mit jedemmal mehr voneinander – von den Muscheln in der Frühzeit, über die Münzen, die Erfindung der Banknoten, der Schecks bis zum „Plastikgeld“ heute, oder den womöglich total münz- und papierlosen, rein elektronischen Geldtechnologien im nächsten Jahrtausend. Viele Schritte weg vom Realitätsprinzip und hin zum Lustprinzip, das dazu drängt, weniger verantwortlich und dafür mehr impulsiv zu handeln: Jede neue, abstraktere Geldetappe hob die hergebrachten gesellschaftlichen Strukturen irreparabel aus den Angeln, führte zu verbreiteter Verarmung und Überschuldungen – und gab den Träumen von Reichtum und leichtem Konsum erst recht neue Nahrung. Gesellschaftliche Geldbotschaften, von Generation zu Generation weitergereicht.

Während der großen Depression beflügelte der Traum vom großen Geld den arbeitslosen Heizungsingenieur Charles B. Darrow in Germantown, Pennsylvania, zu jenem Spiel, das justament diesen Traum wahr werden läßt. Monopoly wurde zum bestverkauften Zeitvertreib aller Zeiten und damit nahezu weltweit praktisch auch ein „Erziehungsinstrument“ der gegenwärtigen irrationalen Geld- Gesellschaft. Daß man Monopoly allerdings auch anders spielen kann, ohne die nagende Angst vor Verlusten und ohne die Gier, Monopolist werden zu wollen, vergißt Analytikerin Matthews nicht, zu erwähnen: Aus der Wüste Nordmexikos hatte sich dazu die Comunidad de los Horcones zu Wort gemeldet. Die Philosophie dieser Lebensgemeinschaft ist, daß Menschen lernen können, friedlich miteinander zu leben, zu arbeiten und zu teilen. Zur Idealvorstellung des Teilens gehört, daß niemand Löhne ausbezahlt bekommt, der ganze Verdienst Gemeinschaftsbesitz ist und jede Ausgabe gemeinschaftlich beschlossen wird. In der New York Times, berichtet die Comunidad, wie ihre Kinder mit dem für sie neuen Spiel umgingen: „Statt die anderen in den Konkurs zu treiben, liehen sich die jungen Spieler gegenseitig Geld aus, so daß jeder von ihnen zu Reichtum gelangen konnte.“

„Warum ist bloß am Ende des Geldes noch immer soviel Monat übrig? – Neue Ideen für einen anderen Umgang mit Geld“, von Arlene Modica Matthews, Econ-Taschenbuch, 1993, 14,90 DM