Spendenboom

■ Wenn Gewissen zur Ware wird

Die Tage werden kürzer, die Luft kälter, die Kerzen wärmer. Unerbittlich rückt die Vorweihnachtszeit heran. Hochkonjunktur für viele Branchen. Vor allem für die Makler des Guten in der Welt, die mit Broschüren und beigelegten Überweisungsvordrucken Aufmerksamkeit erheischen. In die Tausende geht die Zahl der Spendensammler, alle teilen sich den gleichen Kuchen. Unter Profis heißt das längst „Spendenmarkt“. Markt, so haben wir das mal gelernt, ist der Tausch Ware – Geld – Ware. Die Ware, die beim Spenden am Ende der Kette steht, ist das Gefühl, etwas Richtiges getan zu haben. Ware – Geld – Gewissen. Ob der Punk am U-Bahn-Ausgang, der um „'n paar Groschen“ bittet, ob die rumänische Roma- Frau, die mit gefalteten Händen auf dem Gehsteig sitzt, oder Riesen-Organisationen wie „Brot für die Welt“ – alle verkaufen sie gutes Gewissen.

Einen festen Preis hat die Ware nicht. Ihr Tauschwert bestimmt sich nach keinem Wertgesetz, und der Gebrauchswert ist kurz: Hab' ich eben was gegeben, dann ist schon beim nächsten, der in die U-Bahn einsteigt, von seiner HIV- Infektion und seiner Obdachlosigkeit erzählt und zudem noch eklige offene Wunden an beiden Beinen vorweisen kann, das schlechte Gewissen wieder da. Die gerade mit einer Mark erkaufte Portion guten Gefühls hat sich verflüchtigt. Damit der Bürger und die Bürgerin bereit sind, für gutes Gewissen Geld auszugeben, müssen sie erst mal ein schlechtes haben. Dafür gibt es Gründe genug. Leben wir doch in einem der reichsten Länder der Erde, verbrauchen mehr Energie als alle anderen, verschwenden ganze Meere von Wasser, exportieren unseren Müll in die halbe Welt, haben meist mehr als genug zu essen und finden sogar noch immer neue Möglichkeiten, uns gebührend zu vergnügen.

Rund vier Milliarden Mark klimpern jährlich in die Spendendosen und auf die Konten der verschiedenen Hilfsorganisationen. Die Deutschen – ein Volk in chronischen Gewissensnöten. Oder ein Volk in chronischen Steuernöten? Denn sofern die beschenkte Organisation als gemeinnützig anerkannt ist, kann die Spende von der Steuer abgesetzt werden: Ware – Geld – Quittung.

Dann gibt es die, die nur so tun, als hätten sie wirklich gutes Gewissen zu verkaufen: Die Haie im Geschäft, bei denen der Verbleib des Geldes niemals nachzuprüfen ist. Jedes Jahr kurz vor Weihnachten – wenn das dreizehnte Monatsgehalt der noch in Lohn und Brot stehenden Bevölkerung den Gewissenshandel kräftig anschiebt – wird garantiert wieder ein Skandal aufgedeckt, und alle Medien der Republik warnen vor Nepper-Organisationen: Die einen kommen mit bunten Wohltätigkeitsmarken an die Haustür, die anderen schalten Zeitungsannoncen mit dem Bild verhungernder Kinder und bieten ihr Gewissenssonderpaket für fünfzig Mark an. Und das Deutsche Zentralinstitut für Soziale Fragen, die oberste moralische Instanz der Spendenwürdigkeit, leistet Aufklärungsarbeit, beantwortet Anfragen und vergibt – der Glaubwürdigkeit wegen – Spendensiegel.

Da wird die Sache dann noch komplizierter: Wer sich mit 50 Mark am Überleben eines sterbenden Kindes in Angola beteiligt, fühlt sich reingewaschen von Schuldgefühlen aller Art. Plötzlich muß er lesen, daß das Geld nie angekommen ist – und schon steht das gute Gewissen in der Wohnzimmerecke herum wie ein kaputter Fernseher, zu nichts mehr gut und Umtausch ausgeschlossen. Ware – Geld – futsch.

Besser dran sind dann schon die, deren Spendenfreudigkeit sich politisch begründet – oder wenigstens so tut. Wer damals hundert Mark für den Erhalt des Berliner Alternativsenders „Radio 100“ aufbrachte, der hatte es wenigstens versucht. Na schön, es ging ein, aber an mir lag's nicht. Grüne und Solidaritätsbewegung sammelten Spenden für den Wahlkampf der nicaraguanischen SandinistInnen. Ja ja, hat nicht geklappt. „Waffen für El Salvador“ hieß jahrelang eine Kampagne, die auch die taz mit unterstützte – und in Diskussionen darüber war die Hölle los. Und vielleicht ist es das, was die ganze Spenderei abseits aller materiellen Stopfgarnqualitäten bewirkt – daß jeder freiwillige Geldgeber Kriterien für die Art seines persönlichen Investments entwickeln muß und sich damit selber auffordert, über das Ziel seiner Spende eine Weile nachzudenken. Frei nach der Devise: Ware – Geld – Bewußtsein. Bernd Pickert